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Durch Gebet und Wort für verfolgte Kopten

Sarrazin, Racheengel der frustrierten Mittelschicht 6. September 2010

Filed under: Reportagen — Knecht Christi @ 03:22

Die große Zustimmung, die Thilo Sarrazin erfährt, begründet sich mit dem Unmut über ein Sozialsystem, das es Migranten zu leicht macht.


Wenn Deutschland ein Einwanderungsland werden will, muss es noch üben. Mit einer „Debattenkultur“, in der Fernsehmoderatoren als heilige Inquisition den freien Gedankenaustausch brutal unterbinden, mit einer politischen Führung, die sich untertänigst bei allen entschuldigt, die sich von ausgeübter Meinungsfreiheit womöglich beleidigt fühlen könnten, ist jedenfalls kein Staat zu machen. Das lockt keine Fachkraft zu uns – und die Deutschen selbst, die man ja so eigentlich nicht mehr nennen darf, fühlen sich der Political Correctness geopfert. Wenn wir schon vom guten Ruf Deutschlands reden, dann hat ihm nicht Thilo Sarrazin den Rest gegeben, sondern Politik und öffentliche Meinung.

Was bitte ist von einem Land zu halten, dessen Elite das Hantieren mit Zahlen als „unmenschlich“ und „gefühlskalt“ empfindet? Wo eine Landesministerin verkündet, sie kenne ihre Migranten, die müsse man halt mit „kultursensibler Sprache“ und menschlicher Wärme „in die Mitte“ nehmen? Wo der Bundespräsident die Integration für eine Frage der Teilnahme an „Integrationskursen“ hält und wo in einem seriösen Blatt wie der „Zeit“ gefordert wird, wichtige Debatten nicht während des Ramadan zu führen, weil „Menschen mit Migrationshintergrund“ dann andere Sorgen hätten? Da lachen doch die Hühner. Und die Inder.

Ausländer mit naturwissenschaftlich-technischer Bildung werden nicht gelockt: Wer seinen Kopf benutzt, weiß, dass man in diesem Land viel für die Integration der Hinzugekommenen getan hat und dass nun auch mal die anderen dran sind. Die Wahrheit ist den Menschen zuzumuten. Denn das Grundproblem, das Thilo Sarrazin anspricht, ist ja nicht neu: Bislang haben die Anreize überwogen, die einen Zuzug nicht in Arbeit, sondern in das Sozialsystem attraktiv machen. Ausländer mit jener so dringend benötigen naturwissenschaftlich-technischen Intelligenz, die hier etwas werden und gestalten wollen, lockt das nicht. Stattdessen gibt es eine auffällige Minderheit mit überwiegend türkischem oder arabischen Hintergrund, die dieses Land, seine Bevölkerung, deren Kultur, Religion und Lebensweise verachten. Warum man diese autoritär-patriarchalisch geprägte Bevölkerungsgruppe umarmend „in die Mitte“ nehmen will, ist mir schleierhaft. Die will nicht umarmt werden. Die ist auch kein Opfer und schon gar nicht dumm.

Arbeit lohnt sich in diesem Land nicht: Kinderreiche Migranten, die „hartzen“, können zumindest eines: rechnen. Es reichen die Grundrechenarten, um zu erkennen, dass sich in diesem Land das Arbeiten nicht lohnt – zumal in der öffentlichen Rhetorik „Leistung“ nicht gerade angesehen ist. Deutschland fehlt es an Selbstachtung. Warum sollten kleine Machos Respekt vor einem Land haben, in dem die Menschen fürchten, als ausländerfeindlich und rassistisch zu gelten, wenn sie primär an die eigenen Wertvorstellungen denken – und erst danach an den Ramadan? Wozu Respekt vor einem Land haben, in dem niemand Grenzen zieht? In dem „Leistungsträger“ verachtet und „Leistungsempfänger“ heilig gesprochen werden? Und in dem man glaubt, Bildung sei durch mehr Geld zu bekommen, und nicht vielmehr durch eine Umgebung, in der Produktivität, Leistung und Herausforderung den Alltag bestimmen – kurz: in der gearbeitet wird? Doch man beugt sich nun mal hierzulande lieber über Opfer als sich um die Ehrgeizigen zu bemühen, die „Leistungsträger“.

Die Zustimmung für Sarrazin spiegelt den Unmut der Bevölkerung: Nein, an der Fertilität der „Falschen“ wird dieses Land nicht zugrundegehen, da hat Sarrazin sich gründlich verrannt. Gewiss aber ist für eine erfolgreiche Integration schlecht gerüstet, wer sich einer paternalistischen Kultur zugehörig fühlt, in der das Individuum nichts, die Familie oder die (Glaubens-)Gemeinschaft alles ist. Die individuelle Zurechnung von Erfolg ist die Bedingung für jenen Aufstiegswillen, von dem wir hier mehr benötigen. Irgendjemand muss den Wohlstand schaffen, den Politiker verteilen möchten. Doch das macht wenig Spaß, wenn man schon bei gemäßigtem Wohlstand als einer der Reichen gilt, denen man nehmen muss.

Thilo Sarrazin ist der Racheengel der frustrierten Mittelschicht – die hohen Zustimmungsraten für ihn spiegeln den Unmut der arbeitenden Bevölkerung. Sie hätte alles Recht der Welt, gekränkt und beleidigt zu sein. Nicht nur Sarrazins Äußerungen sind „für viele Menschen in diesem Land nur verletzend“, wie Angela Merkel wissen ließ. Auch der Kanzlerin Ignoranz all den anderen gegenüber. Und diese Menschen erzürnt nicht nur, dass mit Sarrazin ein Sündenbock zum Opfer gebracht wurde – sondern auch, dass im Zuge der Hatz auf ihn zivilisatorische und politische Grundwerte auf der Strecke geblieben sind.

Die Bundeskanzlerin gerierte sich als Oberzensorin, obwohl sie das Buch des Autors gar nicht gelesen hatte, empfahl hernach dem Vorstand der Bundesbank öffentlich, sich von Thilo Sarrazin zu trennen, und lobte zum Schluss dessen „unabhängige Entscheidung“. Sollte das ein Scherz sein? Und was ist von einem Bundespräsidenten zu halten, der sich eilfertig als Erfüllungsgehilfe annonciert? Langsam ahnt man, was Altbundespräsident Köhler dazu bewogen haben könnte, den Bettel hinzuschmeißen. Soviel Arroganz gegenüber den Regeln der Demokratie hat man hierzulande selten erlebt. Und jetzt möchte unsere verlogene Elite, nachdem der Provokateur entfernt ist, endlich über das „Megathema der nächsten Jahre“ diskutieren: über Integration.

Die Erwerbstätigkeit in einigen Migrantengruppen ist geringer als bei Deutschstämmigen. 2009 waren 43,7 Prozent der Erwerbsfähigen ohne Migrationshintergrund berufstätig, aber nur 34,8 Prozent der Türkischstämmigen. Der Anteil der Hartz-IV-Empfänger betrug 2009 bei Einheimischen 3,4, bei Türkischstämmigen 11,9 Prozent. 2009 lag die Arbeitslosenquote unter Deutschen (mit eingebürgerten Migranten) bei 8,3 Prozent, unter Ausländern hingegen bei 19,1 Prozent. 2008 begingen drei Prozent der Ausländer zwischen 14 und 18 Jahren Gewaltdelikte, hingegen waren es bei Deutschen in dem Alter 1,3 Prozent.

Man fasst es nicht. Müssten wir nicht langsam mal über die Kriterien diskutieren, die über Zuzug entscheiden sollten? Sofern noch jemand kommen mag? Müssten wir nicht endlich damit beginnen, ein Einwanderungsland zu werden?

Übrigens: Wir sind schon weiter, als die politische Betulichkeit es wahrnimmt. Das selbstbewusste Auftreten der Vorzeigemusliminnen in der Debatte um Sarrazin hat gezeigt, dass jemand mit Migrationshintergrund längst nicht mehr das Opfer ist, das man umhätscheln muss. Auch wenn sie sich gerne beleidigt geben: Falsche Rücksichtnahme auf ein so starkes Gegenüber ist nicht nötig.

Die Thesen des Thilo Sarrazin – Von Cora Stephan – Die Autorin ist Politikwissenschaftlerin und Historikerin, die zahlreiche Sachbücher veröffentlicht hat.

{Abfahrt aus dem Gebäude der Bundesbank in Frankfurt: Ein Buch des Bankvorstands und SPD-Mitglieds sowie Äußerungen über Migranten haben wieder einmal für Empörung in der politischen Klasse und für Zustimmung bei den Bürgern gesorgt. Ein Überblick über seine Thesen: Im Juni 2010 erklärt er: „Wir werden auf natürlichem Wege durchschnittlich dümmer“ und bringt dies in Zusammenhang mit Zuwanderern „aus der Türkei, dem Nahen und Mittleren Osten und Afrika“. Ende 2009 hält Sarrazin türkischen und arabischen Einwanderern vor, sie hätten „keine produktive Funktion außer für den Obst- und Gemüsehandel“ und produzierten „ständig neue kleine Kopftuchmädchen“. Im Februar 2008: „Wenn man sich das anschaut, ist das kleinste Problem von Hartz-IV-Empfängern das Untergewicht“. Juni 2008: „Für fünf Euro würde ich jederzeit arbeiten gehen. Das wären 40 Euro pro Tag“. Im November 2002 sagte er zur Debatte über höhere Kita-Gebühren: „Es wird ja so getan, als ob der Senat die Kinder ins Konzentrationslager schicken wollte“. November 2007: „Tempelhof ist kein Filetstück. Und wenn, dann schauen da schon die Maden raus“. Oktober 2007: „Wer als Hartz-IV-Empfänger genug Kraft für ein Ehrenamt findet, der sollte dann die Kraft darin legen, Arbeit zu finden“. August 2006: „Der Schutt ist abgeräumt. Wir leben hier nicht mehr im Jahre 1945, sondern wir leben im Jahre 1947“. Februar 2002: „Die Beamten laufen bleich und übel riechend herum, weil die Arbeitsbelastung so hoch ist“. Im Februar 2002 über den Berliner Etat: „Der Haushalt ist objektiv verfassungsfeindlich“. Im November 2003 zu Studenten, die sein Büro besetzt haben: „Ihr seid alle Arschlöcher“}.

 

1 Responses to “Sarrazin, Racheengel der frustrierten Mittelschicht”

  1. Bazillus Says:

    Wunderbarer Artikel. Wieder eine Frau, die Klartext in Kürze mit Würze redet. Welchen Kommentar sollen hier Kommentatoren noch abgeben? Er ist in sich selbst der Beste.


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