kopten ohne grenzen

Durch Gebet und Wort für verfolgte Kopten

Verfolgte Christen: Weltweite Missachtung der Religionsfreiheit 17. April 2011

Filed under: Christenverfolgung,Koptenverfolgung — Knecht Christi @ 19:00

{I} Problem Christenverfolgung: Die Weltöffentlichkeit war geschockt

 

Am Neujahrestag 2011 starben durch eine Bombenexplosion vor der koptischen Kirche der Heiligen Markus und Papst Petrus der ägyptischen Stadt Alexandria 24 koptische Christen, mehr als einhundert weitere Kopten wurden schwer verletzt. Einige Tage später erschoss ein ägyptischer Polizist einen Kopten im Zug und verletzte vier weitere Kopten. Es handelt sich bei beiden Attentaten um keine Einzelfälle. Schon an Weihnachten 2009 wurden sechs koptische Christen in Naag Hamadi erschossen. Im Februar 2007 nahm die ägyptische Polizei in Armant zwei koptisch-orthodoxe Familien fest, nachdem diese zur Polizeistation gekommen waren, um Brandanschläge auf ihre Häuser anzuzeigen; die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) gibt an, daß die Kopten von der Polizei gezwungen wurden ein Protokoll zu unterzeichnen, wonach sie ihre Häuser selbst angezündet hätten, um die Tat den Muslimen anzulasten und Polizeischutz anzufordern.1

 

Im Oktober 2005 gab es in Alexandria einen Gewaltausbruch von Muslimen gegenüber Christen, bei denen drei Menschen getötet, sieben Kirchen beschädigt und eine Ordensschwester durch eine Messerattacke schwer verletzt wurde. 2002 wurden nach der Einweihung in der ägyptischen Provinz Minya elf Menschen verletzt. 2001 schließlich kamen bei Massakern in der ägyptischen Kleinstadt Elkoscheh 21 koptische Christen zu Tode.

 

Die koptischen Christen bilden die größte christliche Gemeinschaft im Nahen und Mittleren Osten, und mit rund „15“ Millionen Menschen stellen sie rund 15% der heutigen Bevölkerung Ägyptens. Nicht nur gegenwärtig gestaltet sich die Lage der Kopten in Ägypten als politisch schwierig, sondern auch in weiten Strecken ihrer fast zweitausend-jährigen Geschichte – und insbesondere seit dem Einfluss des Islam in Ägypten seit der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts. So muss heute in der Rückschau die Geschichte der Kopten als eine Geschichte der Verfolgung und Unterdrückung bewertet werden.

 

Es wird geschätzt, daß rund zwei Millionen Kopten seit ihrer Gründung im ersten nachchristlichen Jahrhundert durch den um 67 n. Chr. verstorbenen Evangelisten und Märtyrers Markus – zugleich erster Bischof von Alexandria – ihr Leben verloren. Hierfür gibt es verschiedene Ursachen, die teilweise im Selbstverständnis der Kopten begründet liegen. In der koptischen Sprache gibt es zahlreiche griechische Wörter, die der Zeit der Ptolomäer entstammen, und diese Zeit ging in Ägypten mit Kleopatra 30 v. Chr. politisch zu Ende.

 

Der Begriff „Kopte“ lässt sich auf das altgriechische Wort „aigyptos“ zurückführen: Die koptische Glaubensgemeinschaft in Ägypten sieht sich als Erbe des pharaonischen Ägypten an, und tatsächlich sind in der koptischen Kunst, Musik, Tradition und Religion Elemente der alt-ägyptischen Kultur erhalten geblieben, vor allem der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tode (Kapitel V. und VI.). In dieser Wahrnehmung erscheint der Islam in Ägypten als ein Fremdkörper, der zumindest nicht unmittelbar an das Erbe der Pharaonen anknüpfen kann.

 

In Ägypten lebten koptische Christen also schon lange, bevor der Islam de facto Staatsreligion Ägyptens wurde. Zwar herrscht heute in der Islamischen Republik Ägypten Religionsfreiheit, doch der Alltag sieht anders aus. So kommt es durch Muslime zu Entführungen von ägyptischen Christinnen, die nach ihrer Zwangsislamisierung mit einem ägyptischen Muslim zwangsverheiratet werden. Und immer wieder gibt es aufflammende interreligiöse Feindseligkeiten, die 1928 mit der Gründung der Muslim-Bruderschaft durch den ägyptischen Fundamentalisten Hasan Al-Banna begann und die politische Lage zuungunsten der koptischen Christen veränderte. Inzwischen berufen sich die islamistischen Terrororganisationen Hamas, Hisbollah, Al-Kaida, Taliban und die Kaukasus-Islamisten auf die Schriften dieser Muslim-Bruderschaft und auf ihren Gründer Al-Banna, der Gewaltausübung gegen Christen und Zwangsislamisierung als gerechtfertigt ansah.

 

{II} Weltweite Verfolgung von Christen

 

Doch die Christenverfolgung in Ägypten stellt sich nicht als Einzelfall dar, sondern als Teil einer weltweiten Verfolgung von Christen. Die Evangelische Allianz gibt an, daß alle drei Minuten ein Christ wegen seines Glaubens hingerichtet wird, vor allem in islamischen Ländern (2). Die Katholische Kirche Schweiz berichtet, daß jährlich rund 100.000 Christen aufgrund ihres Glaubens von Muslimen ermordet oder zu Tode gefoltert werden (3). Nach Angaben der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte ist jeder zehnte Christ auf dieser Erde ein Opfer von Diskriminierung und Gewalt (4).

 

Eine Studie der Menschenrechtsorganisation „OpenDoors“ kommt 2009 zu dem Resultat, daß Christen die weltweit meistverfolgte Religion auf dieser Erde sind. Opendoors hat in seinem Weltverfolgungsindex eine Rangliste von fünfzig Staaten erstellt, in denen Christenverfolgungen vorkommen. Die Grundlage der Studie bildet ein Fragebogen aus fünfzig Fragen.5 Die Studie ergibt, daß Christenverfolgung in Ländern des Islam (z.B. Saudi-Arabien), in Ländern mit kommunistisch-totalitären Strukturen (z.B. Nordkorea) und in Ländern mit sozialen Unruhen oder langjährigen Rebellenaufständen (z.B. Nepal) existent ist. Bereits im Jahr 2000 habe ich in dieser Zeitschrift das Thema „Christenverfolgung heute“ und in vier weiteren Beiträgen in „Die Tagespost“, im „Deutschland-Magazin“ und in „Die politische Meinung“ behandelt (6).

 

Leider hat sich seither kaum etwas grundlegend politisch verändert, schon gar nicht zum Positiven. War die Frage der freien Religionsausübung für Christen in China und auf der arabischen Halbinsel schon im Jahr 2000 ein großes Problem gewesen, so ist es dies bis heute geblieben. Zudem hat sich die Problematik der Christenverfolgung in anderen Ländern verschärft. In Kamerun beispielsweise will Al-Kaida, im Bündnis mit islamischen Fundamentalisten, Christen aus dem Land vertreiben und religiöse Unruhen anfachen.

 

Aus Nigeria dringen islamische Gotteskrieger nach Kamerun ein und hetzten mit Flugblättern sowie mit Gewalt gegen Christen. In Eritrea sitzen über 200 Christen ihres Glaubens wegen in Haft. In Somalia werden Christen als Menschen zweiter Klasse behandelt. Trotz Verhandlungen mit der Europäischen Union führen im laizistischen Vorzeigestaat Türkei die Christen ein Dasein als Bürger zweiter Klasse. In Nigeria wird mit der Scharia gegen Christen vorgegangen. In Saudi- Arabien gibt es keine Rechte für Christen. Im Sudan und auf den Malediven kommt es zu Terror gegen Christen. In Pakistan finden Verhaftungen und Todesurteile gegen Christen statt. Indonesien entwickelt sich immer mehr zu einem islamischen Gottesstaat, in dem Christen keinen Platz mehr haben; allein in den vergangenen zwei Jahren sind in Indonesien 1300 Gebäude der katholischen Kirche schwer beschädigt worden.

 

Im Rahmen dieses Aufsatzes möchte ich mich nicht im Einzelnen mit dem verheerenden Ausmaß weltweiter Christenverfolgung auseinandersetzen, sondern nach den Ursachen fragen. Hierbei hilft uns eine Äußerung des türkischen Staatspräsidenten Erdogan weiter, der aus seiner islamistischen Einstellung keinen Hehl macht und der 1997 seiner Partei die Vernichtung aller Juden und den Kampf gegen den Westen empfahl, indem man seiner Meinung nach die Demokratie nicht als Ziel, sondern als Mittel begreifen soll. Den Äußerungen Erdogans können wir entnehmen: Im Ausland werden christliche Religion und Kultur (Kapitel IV.) vielfach als „westlich“ und als politische Bedrohung durch das „Abendland“ (Kapitel III.) wahrgenommen. Woher kommt diese ablehnende Haltung?

 

In der Tat stehen die römisch-katholische Kirche und das Pontifikat von Benedikt XVI. für das abendländische Erbe mit seinen jüdischen, griechischen, römischen, ägyptischen und germanischen Wurzeln. Durch Säkularisierung und Wertewandel sind die christlichen Religionsgemeinschaften in ihrer Existenz gefährdet. Der Islam hingegen ist im arabischen Sprach- und Kulturraum beheimatet und bislang mit Säkularisierung und Wertewandel sowie den Herausforderungen einer pluralistischen Gesellschaft nur in geringem Umfang konfrontiert. Damit sind im Ergebnis (gesellschafts-)politische und kulturelle Spannungen vorgezeichnet, die bis heute zwischen Christentum und Islam weltweit wirken.

 

III. Abendländisches Erbe

 

Wenn wir uns mit dem abendländischen Erbe auseinandersetzen, so Joseph Ratzinger in seiner Veröffentlichung „Werte in Zeichen des Umbruches“, dann müssen wir uns seiner jüdischen, römischen und christlichen Wurzeln erinnern (7). Fragen wir nach den Ursprüngen des christlichen Glaubens, so müssen wir den Blick öffnen auch für die mesopotamischen, germanischen, ägyptischen und griechischen Einflüsse, die auf das Christentum einwirkten und christliche Kultur bis heute bestimmen.

 

Bereits in früheren Aufsätzen in dieser Zeitschrift bin ich auf Facetten christlicher Kultur in Europa eingegangen. Dabei versuchte ich zu verdeutlichen, daß die christliche Kultur des Abendlandes in der Anfechtung steht. Diese Entwicklung der Säkularisierung und Wertewandels hat sich weiter verschärft. Besonders deutlich wird dies an den jüngsten Statistiken. In Deutschland gehörten 2008 aufgrund von Sterbefällen und Kirchenaustritt nunmehr nur noch 31% der Bevölkerung der katholischen Kirche und 29% der Bevölkerung einer evangelischen Kirche an.

 

In seinem Buch „Die katholische Kirche in Deutschland im 20. Jahrhundert“ von 2009 spricht Erwin Gatz von einer dramatischen Erosion der Kirche in Deutschland, vor allem in den vergangenen zwei Dekaden. Die katholische Kirche hat zwar einen hohen Bekanntheitsgrad, doch ihre pastoralen und sozialen Leistungen für das Gemeinwohl werden kaum wahrgenommen. Die Kirchen zeigen sich auf dem Gebiet der Denkmalpflege und der kirchlichen Archivierung vorbildlich, bei der Weitergabe des christlichen Glaubens an die junge Generation bestehen jedoch Lücken, die vor allem gesamtgesellschaftliche Gründe haben (8). So verstärkt etwa die Abschaffung des Faches Religion als Regelunterricht in Berlin im April 2009 – zuvor bereits in Bremen und Brandenburg – einen Rückgang christlicher Kultur in Deutschland und Europa.

 

Die Ursachen dieses Erosionsprozesses sind seit langem bekannt und diskutiert. Nach dem Ende des europäischen Mittelalters mit seiner christlichen Einheit von Staat, Kirche und Gesellschaft setzten um 1500 Reformation, Humanismus, Bauernkriege und Dreißigjähriger Krieg neue politische, gesellschaftliche und religiöse Zäsuren. Die Buchdruckkunst, neue Architektur und Bautechniken sowie die ersten Manufakturen etwa im Textilbereich beförderten im wirtschaftlichen Bereich diese Entwicklungen. Ein zweiter Einschnitt erfolgte mit der Erfindung der Dampfmaschine und dem Entstehen von Fabriken.

 

Die Aufklärung und der Siegeszug der Demokratie führten zur Umgestaltung von Gesellschaften und zu einer größeren politischen Beteiligung aller Bürger. Beide Zäsuren gehen mit einem Zurückdrängen der christlichen Kultur durch Wertewandel, Säkularisierung und Konfessionalisierung einher. So hat die christliche Religion im wirtschaftlichen Bereich nie richtig Fuß gefasst, auch wenn es in einigen Manufakturen und Fabriken anfänglich gemeinsame Gebetsminuten oder Werksgottesdienste gab. Ein dritter Einschnitt erfolgt durch das Medien- und Informationszeitalter, der durch die Mobilität der Menschen und neue Kommunikationsmittel klassische Gemeindestrukturen in Frage stellt.

 

Festzustellen ist, daß es sich in Europa bei den Prozessen von Säkularisierung und Wertewandel um gesamtgesellschaftliche Entwicklungen handelt. Auch Irland und Polen, Italien, Spanien und Portugal erleben eine Loslösung von Kirchengebundenheit und eine Erosion des christlichen Glaubens und von christlicher Kultur. These dieses Beitrages ist es, das mit dem Verlust von Kirchen und Kirchlichkeit auch Kulturgeschichte, christliche Traditionen und Identitäten verlorengehen, deren Wurzeln mannigfaltig sind. Mit der Schwächung des christlichen Abendlandes wird Christenverfolgung in anderen Ländern der Welt leichter und von westlichen Politikern kaum thematisiert. Unter den deutschen Politikern ist es vor allem Hermann Groehe, der sich dem Thema Christenverfolgung gestellt hat und der Heiner Bielefeld mit seinem Thema der Achtung der Religionsfreiheit als langjährigen Direktor des Instituts für Menschenrechte unterstützte.

 

IV. Christliche Kultur

 

Die christliche Kultur stand zu keinem Zeitpunkt vollkommen isoliert da, sondern war unterschiedlichen religiösen und kulturellen Strömungen ausgesetzt, die es teilweise aufgenommen und bewahrt hat. Deshalb erfreut sich die christliche Kultur aufgrund seiner verschiedenen kulturellen Einflüsse einer großen Vielfalt. Bei Kirchenhistorikern und christlichen Archäologen war dies immer bekannt gewesen, doch gelangte dieses Wissen oft genug nicht in eine breitere Öffentlichkeit. Christliche Kultur formt sich nicht nur im kirchlichen Raum etwa durch Gebet und Liturgie aus. Eine andere Ausgestaltung christlicher Kultur bildet die christliche Musik mit seinen vielen christlichen Chören, Volksliedern, klassischen und konzertanten Messen sowie moderner christlicher Popmusik.

 

Ein weiteres Medium kommt durch eine christliche Architektur zum Ausdruck: Christliche Kirchen und Kapellen bilden bis heute wichtige Symbole christlichen Glaubens. Christlicher Glaubens bricht sich auch Bahn in der christlichen Kunst, also in der bildenden Kunst (Malerei, Grafik), der Steinmetz-, Holzschnitz- und Bronzekunst sowie in der Glasmalerei und in Webarbeiten (9). Ein völlig neuer Bereich seit dem 20. Jahrhundert bildet der christliche Film oder eine Suche nach Christlichem und Religiösem im modernen Film (10) Alle Bereiche der christlichen Kultur sind durchsetzt von Einflüssen anderer Kulturen und machen deshalb ihre Einzigartigkeit und Faszination aus.

 

Hinsichtlich der jüdischen Wurzeln des Christentums – also jenen, die für Politiker wie Erdogan ein großes Ärgernis sind, gab es etwa bei Adolf von Harnack (1851-1930) Ansätze, die christliche Theologie von der ‚Last‘ des Alten Testaments zu befreien (11), während sein Zeitgenosse Adolf Schlatter (1852-1938) bei der Erforschung des Neuen Testaments versuchte, jüdisch-rabbinische Parallelen in der neutestamentlichen Exegese zu berücksichtigen (12). Gerade in den Jahrzehnten seit dem II. Weltkrieg wurden die jüdisch-christlichen Zusammenhänge im besonderen Maße herausgearbeitet, gegenwärtig besonders durch den katholischen Theologen und Ratzinger-Schüler Joseph Wohlmut (13) Jesus und seine Jünger waren Juden und die Apostel – allen voran der Hl. Paulus – missionierten vor allem unter den Juden; ihr Reden fand im Horizont jüdischen Denkens statt.

 

Da die christliche Religion im Unterschied zum Judentum keine strenge Gesetzesreligion ist, war es offener für die Einflüsse anderer Religionen, vor allem in der Zeit seiner Anfänge. Als 1872 in London das Bruchstück einer Tontafel mit sumerischer Keilschrift veröffentlicht wurde, herrschte große Aufregung, da das mesopotamische Gilgamesch-Epos, um 2600 v. Chr. verortet und niedergeschrieben um 1900 v. Chr., der Geschichte der alttestamentlichen Erzählung von einer Sintflut aus dem ersten Jahrtausend vor Christus im Buch Genesis sehr ähnelt. Heute steht der kulturelle Einfluss Mesopotamiens auf die benachbarten Völker, so auch der Juden, außer Frage.

Hinsichtlich des griechischen Einflusses auf das Christentum lässt sich festhalten, daß wir die ältesten schriftlichen Zeugnisse christlichen Gedankengutes in griechischer Sprache besitzen. Neben der alexandrinischen Version des Alten Testaments für die griechischsprachigen Juden aus der Zeit des dritten Jahrhunderts v. Chr. sind die griechischen Versionen der Evangelien, der Briefe und der Apostelgeschichte zum Großteil auf die zweite Hälfte des ersten Jahrhunderts n. Chr. datiert worden. Im zweiten Jahrhundert n. Chr. entwickelten sich unter den griechischen Kirchenvätern Justinian und Clemens auf der Basis der Rhetorik eine eigene literarische Gattung, die Apologetik (christliche Rechtfertigungslehre).

 

Aus den Malereien der christlichen Katakomben in Rom, in denen Jesus und seine Jünger in den Gewändern griechischer Philosophen dargestellt sind, wissen wir um den griechischen Einfluss auf die ersten Christen Roms. Als weiteres Beispiel griechischen Einflusses auf das Christentum lässt sich die griechische Göttin Artemis, Tochter des Zeus, benennen, die im antiken Ephesus vor allem in ihrer Mutterrolle verehrt wurde. Als christliches Gegenprogramm passte es, daß der Apostel Johannes mit Maria in Ephesus gewesen sein soll – auch wenn sich dies nicht belegen lässt. Sowohl die Marienkirche aus dem 4. Jahrhundert wie das heute verehrte „Domus Mariae“ liefern wissenschaftliche Hinweise auf Maria.

 

Gleichwohl begünstigte die starke Verehrung der Artemis als Mutter auch die Ausprägung von Maria als geistige Mutter aller Christen und Fürsprecherin bei Gott. Was die römischen Wurzeln des Christentums angeht, so sind diese im Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit aufgrund einer allgemeinen Geschichtsvergessenheit teilweise verloren gegangen. So ist vielen nicht mehr gewahr, daß der Titel „Pontifex maximus“ des Papstes ursprünglich ein Titel des römischen Kaisers war. Ähnlich verhält es sich mit dem „Labarum“, also dem Banner, das den römischen Kaisern vorausgetragen wurde. Das Labarum bestand aus einer langen Lanze, an der rechtwinklig ein Querstab und ein Adler als Sinnbild der Herrschergewalt angebracht waren. Kaiser Konstantin ersetzte den Adler durch das christliche Monogramm Ch (X) und Rho (P) als den Anfangssilben von Christos, während der Querstab als Kreuz herausgeformt wurde.

 

Auch heute noch wird ein christliches Labarum in feierlichen Messen den katholischen Geistlichen vorweggetragen. Die germanischen Wurzeln des Christentums wurden vielen Christen in den vergangenen Jahrzehnten vor allem am Beispiel des Weihnachtsfestes bewusst. So wissen wir seit geraumer Zeit, daß die Ursprünge des christlichen Weihnachtsfestes auf die Sonnenwendfeier der Germanen in Mitteleuropa zurückgeht, die zwischen dem 21. und 25. Dezember gefeiert wurde. Das bedeutet, daß von da an die Tage wieder länger wurden und die lange Dunkelheit im Norden Europas allmählich überwunden wird. Eben deshalb war schon in germanischer Zeit die Sonnenwendfeier ein Lichterfest, welches in Mitteleuropa deshalb als Fest der Kerzen begangen wurde. Zugleich wurde diese Sonnenwendfeier auch bei den Germanen als ‚geweihte Nacht‘ (Mittelhochdeutsch: „wihen nahten“) gefeiert.

 

Die Römer griffen diesen heidnischen Kultus auf und der römische Kaiser Aurelian führte 274 n. Chr. offiziell den „sol invictus“ als öffentlichen Feiertag ein – also als eine Art späte Form des indogermanischen Sonnenkultes (14). Ebenso verhält es sich mit den „Wintermaien“, den Tannenzweigen, die schon in germanischer Zeit als Zeichen der Fruchtbarkeit und der Natur des Lebens begriffen wurden. Die Tannenzweige oder Tannenbäume wurden oft mit Äpfeln geschmückt, da der Apfel als klassische nordeuropäische Frucht bis in den Winter hinein haltbar war. Auch auf europäischen Weihnachtsmärkten hat sich der „Bratapfel“ oder Weihnachtsapfel erhalten. Das christliche Weihnachtsfest wurde, wie wir heute wissen, in den ersten drei Jahrhunderten nach Christus nicht gefeiert. In den Malereien der christlichen Katakomben in Rom wird das Weihnachtsfest erst Ende des vierten Jahrhunderts thematisiert. Dies hängt damit zusammen, daß 381 n.Chr. unter dem römischen Kaiser Theodosius, der auch das Christentum zur Staatsreligion deklarierte, das Weihnachtsfest durch Konzilsbeschluss zum kirchlichen und damit im römischen Reich zum öffentlichen Feiertag wurde.

 

V. Ägyptische Einflüsse auf die christliche Kultur

 

Aber nicht nur die Kultur der alten Germanen, sondern auch die der alten Ägypter beeinflussten das Christentum. Diese Tatsache gehört zu den ganz großen (kultur-)politischen Ärgernissen in Ägypten, da dadurch die christlichen Kopten dem alten Ägypten näher stehen als die überwiegend muslimische Bevölkerung Ägyptens. Wir wissen heute aus der archäologischen Forschung, daß bis zu Beginn des 6. Jahrhunderts nach Christus Inschriften in den Pharaonen-Tempeln gemacht und die sogenannten römisch-ägyptischen Holz-Sarkophage erstellt wurden.

 

Die Bewirtschaftung und kulturelle Erhaltung der alt-ägyptischen Tempel ist der Fürsprache der christlichen Kopten zu verdanken, wenn auch nicht mehr die alt-ägyptischen Götter angebet werden durften, da von 381 n. Chr. bis 640 n. Chr. das Christentum Staatsreligion in Ägypten war. Daß die alten Ägypter sich überhaupt mit Philosophie und Religion auseinandersetzen konnten und von hartem Überlebenskampf sowie existentiellen Sorgen
befreit waren, verdankten sie dem großen Fischreichtum des Nils und der Fruchtbarkeit der Nilebene, die damals großflächiger war als heute.

 

Eine Rolle spielt dabei auch die veränderte Bevölkerungszahl, die im alten Ägypten bei rund zwei Millionen lag, während das moderne Ägypten über siebzig Millionen Menschen beheimatet. Vor diesem wirtschaftlichen Hintergrund konnten sich die alten Ägypter intensiver und früher als andere Völker mit philosophischen und religiösen Fragen beschäftigen, wobei bei ihnen Fragen nach dem Tod, das Jenseits und die Bewältigung des Jenseits im Vordergrund standen. Die Pharaonen schufen für ihre Religion „Tempel der Ewigkeit“, die wir teilweise heute noch bestaunen können. Besonders Pharao Ramses II. (1279-1213 v. Chr.) tat sich während seiner langen Regentschaft als Architekt und Baumeister noch heute bestehender Tempel etwa in Luxor, Abu Simbel oder dem Ramseseum in West-Theben hervor, weshalb er schon zu Lebzeiten als „der Große“ und „Liebling der Götter“ betitelt wurde.

 

Am Hofe Ramses II. soll auch Moses aufgewachsen sein, der Gesetzgeber des jüdischen Volkes (15). Die alten Ägypter befanden sich nicht unter dem Druck, die Naturgewalten durch die Religion oder Rituale zu beschwören. Natur und Kosmos waren für die alten Ägypter Ausdruck göttlicher Ordnung. Die Ägypter waren zudem die erste Hochkultur, die sich Fragen nach dem Jenseits und nach einem Leben nach dem Tode stellten. Den frühen Christen außerhalb Ägyptens erschienen die altägyptischen Religionen einerseits als finsteres Heidentum, gespickt mit bizarren Götterbildern (16). Andererseits nahmen die Kopten in Ägypten die altägyptische Religion als eine Hochkultur wahr, die es zu schützen und zu tradieren galt, weshalb sie teilweise liturgische Elemente – etwa die Priestergewänder oder das Sanktuar (17). – von der polytheistischen Religion der alten Ägypter übernahmen. Es lassen sich ägyptische Wurzeln des christlichen Glaubens aufzeigen, die nicht allein durch die alttestamentlichen Geschichten über die Gefangenschaft der Israeliten durch die ägyptischen Pharaonen begründet ist.

 

Zudem gab es eine monotheistische Strömung in der ägyptischen Religionsgeschichte, und zwar durch Pharao Amenophis IV., der sich in Echnaton umtaufen ließ; er machte für die Dauer seiner Herrschaft mit der Göttervielfalt Schluss und reduzierte sie auf einen einzigen Gott Aton – die Sonne –, weil das Sonnenlicht die Quelle allen menschlichen Lebens sei. Echnaton stemmte sich gegen die mächtige Priesterkaste, die dadurch praktisch alle ihre Privilegien verlor und entmachtet wurde. Auch in der Kunst ging Echnaton neue Wege. So wich er von der tradierten, idealisierten Darstellungsweise ab und ließ seine Familie und sich ganz natürlich abbilden: wulstlippig, mit langgezogenem Kinn und einem Hängebauch über den dünnen Schenkeln. Seine Gemahlin Nofrete wird in ihrer ganzen Schönheit dargestellt – wie die uns erhaltene Büste im Alten Museum in Berlin dies belegt.

Auch die

lebendigen, fast lebensgroßen Menschendarstellungen im Grab von Tut-ench-amun belegen diesen neuen Malstil, der jedoch mit diesem frühverstorbenen König gleichzeitig auch wieder sein Ende findet. Echnatons Gott Aton ist jedoch keine gänzlich neue Schöpfung, sondern knüpft an den alt-ägyptischen Gott Re an, der vor und nach Echnaton verehrt wurde. Re, der menschengestaltig mit Falkenkopf und Sonnenscheibe gezeigt wird, war der alles überragende Sonnengott und mit den anderen Göttern zur Allgottheit verbunden: in Re oder Amun-Re waren alle anderen Göttern enthalten, so wie diese anderen Götter in ihm enthalten waren. Insoweit trägt die alt-ägyptische Religion auch monotheistische Züge.

 

Daß das Christentum nicht von Beginn an eine streng monotheistische Religion war, macht der Streit zwischen den Theologen Arius und Athanasius, Bischof im ägyptischen Alexandrien, um die Wesenseinheit oder Wesensgleichheit von Gottvater, Jesus Christus und Heiligem Geist deutlich. Letztlich konnte sich im Konzil von Nicäa, welches vom römischen Kaiser Konstantin 325 n.Chr. einberufen wurde, Athanasius mit seinem Verständnis von der Wesenseinheit – „die wir als eine Person verehren“18 – durchsetzen, womit das Christentum monotheistisch blieb.

 

VI. Christliche Kultur und ein Leben nach dem Tode

 

Obwohl die alt-ägyptische Religion – mit Ausnahme der Ära Echnatons und zu Beginn der Regierungszeit von Tut-ench-amun – eine polytheistische gewesen ist, finden sich für Christen Facetten einer gewissen Vertrautheit auf Grund der Auseinandersetzung mit der Frage eines Lebens nach dem Tode. Die Existenz eines göttlichen, Menschen letztlich nicht beschreibbaren Jenseits, eben eine Paradiesvorstellung, charakterisiert die altägyptische Religion seit dem Mittleren Reich und weist dadurch Bezüge zum Christlichen auf; sie dient als Bildprogramm für die Ausgestaltung der Königsgräber im Neuen Reich. Da die alten Ägypter an eine leibliche Auferstehung glaubten, wollten sie bis dahin den irdischen Körper durch Mumifizierung erhalten.

 

Auch die Noblen, die Frauen, die Künstler und einfachen Arbeiter wurden deshalb mumifiziert; lediglich im Zeitaufwand und der Ausgestaltung der Mumifizierung gab es Unterschiede. Interessanterweise werden zudem Osiris, der altägyptische König auf Erden und Gott der Auferstehung, der den Tod überwand, die weibliche Göttin Isis und Horus, Sohn von Osiris und Isis, oft als drei-eine Götter dargestellt. Horus soll dabei durch eine Jungfrauengeburt zustande gekommen sein, womit Maria in Isis eine geistige Vorläuferin erhält. Horus, der auch den Beinamen „Christos“ hatte, wirkte mit zwölf Anhängern als „Menschenfischer“.

 

Der Name „Christos“ und „Jesus“ – oder „Iusu“ oder „Iusa“ – war im alten Ägypten als der kommende göttliche Sohn, den Horus symbolisierte, gut bekannt. Das bereits erwähnte Labarum war vor Konstantin ein Zeichen des Osiris und des Horus gewesen, der oft mit dem langen latinischen Kreuz dargestellt wurde. Das Kreuz erscheint im alten Ägypten als heiliges Zeichen, als Symbol für die Inkarnation und für ein künftiges neues Leben und weist in der Darstellung Parallelen zur koptischen Kultur und zum Malteser-Kreuz unserer Tage auf.19

Schließlich sei daraufhin gewiesen, daß der Dekalog, die zehn Gebote des Moses, sich fast wörtlich im älteren ägyptischen Totenbuch – so in Spruch 125 „ich habe kein Unrecht gegen Menschen begangen; ich habe keinen Gott gelästert“ – wiederfinden, was Sinn macht, da Moses um ca. 1500 Chr. tatsächlich in Ägypten gewesen war. Das ägyptische Totenbuch ist eine Sammlung von Sprüchen, die dem Verstorbenen ermöglichen sollte, sein Leben nach dem Tod so zu gestalten, wie er es zu Lebzeiten für richtig hielt. Bereits um 2500 v. Chr. entstanden die ersten Sprüche dieser Art, die in den Innenwänden der Grabkammern der Pyramiden angebracht gewesen waren; sie wurden auf Papyrusrollen niedergeschrieben und den Mumien mit in den Sarg gelegt. Und die Vorstellung von einem Sohn, der von einem himmlischen König stammt und der sich in die dunkle, irdische Welt hinab begibt, Prüfungen bestehen muss, leidet, stirbt, dann aufersteht und in eine ursprüngliche Welt zurückkehrt, findet sich in den ägyptischen, griechischen und römischen Religionen in Form der Göttergestalten von Osiris, Horus, Bacchus, Orpheus, Hermes, Adonis und Herkules wieder.

 

VII. Theologische Implikationen

 

Die kultur-, religions- und weltgeschichtliche Bedeutung der alten Ägypter liegt darin, daß sie eine Schriftsprache, die Hieroglyphen, entwickelten, indem sie einzelne Zeichen als Wörter verwendeten, vergleichbar der chinesischen Kalligraphie. Sodann verwendeten sie zahlreiche (Toten-) Sprüche bereits im vierten und dritten Jahrtausend v. Chr., die im Neuen Reich im so genannten Totenbuch zusammengefaßt wurden. Zeitlich gesehen nach den ägyptischen (Toten-)Sprüchen lässt sich um ca. 2100 v. Chr. der mesopotamische Gesetzestext des Hammurabi und das Gilgamesch Epos um ca. 1900 v. Chr. datieren. Und noch einmal deutlich jünger ist das Redaktionsteam um Homer zum Niederschreiben von „Ilias“ und „Odyssee“ um 800 bzw. 650 v. Chr. zu verorten.

 

Die „Ilias“ und die „Odyssee“ wurden, als Ägypten von 330 bis 30 v. Chr. unter die griechische Fremdherrschaft der Ptolomäer geriet – General Ptolomäus war ein Mitstreiter Alexander des Großen gewesen –, weiter tradiert, vor allem in Alexandrien, dem von den Griechen erbauten Bildungszentrum des alten Ägypten mit seiner weltberühmten Bibliothek und dem markanten Leuchtturm am Hafen, beides leider durch einen Brand bzw. einem Erdbeben zerstört. Und unter heidnischen Römern und römischen Christen wurden oftmals griechische Philosophie und Homers Erzählungen weitergegeben – wie es die Wandmalereien in den antiken Katakomben in Rom belegen.

 

Die Auseinandersetzung mit der altägyptischen Religion und Geschichte führt uns in die Anfänge der Menschheitsgeschichte und der Glaubensüberzeugungen von Menschen. Vielfach werden die von Anthropologen und Religionswissenschaftlern aufgezeigten Bezüge zwischen der christlichen Religion und anderen Religionen als Ansatz zu Kritik genommen: Das Christentum, so etwa der evangelische Theologe und Religionswissenschaftler Marco Freuschkowski in seinem 2007 in Wiesbaden erschienen Werk „Mysterium des Urchristentums. Eine kritische Sichtung spekulativer Theorien zum frühen Christentum“ sei letztlich nur „abgekupfert“. Doch diese Ansicht ist fehlgeleitet und verleugnet die eigenständige Botschaft Jesu Christi.

 

Richtig ist der Überlegungsansatz, daß wir uns auch im kirchlichen Raum in Zeiten von Globalisierung und einem Zusammenprall der Religionen im 20. und 21. Jahrhundert im Sinne von Samuel Huntington (geb. 1927) (20) in verstärktem Maße mit den Kulturen und Religionen anderer Völker und Menschen auseinandersetzen- und dabei historische, kulturelle und religiöse Wurzeln beachten müssen. Vielen wird erst in unserer Zeit gewahr, daß das an einem Ausläufer der Seidenstraße gelegene Palästina zu Zeiten Jesu ein buntes Gemisch von Propheten, Philosophen, Kulturen und Religionen bot, deren Einfluss sich auch die damaligen Christen nicht entziehen konnten. Doch haben diese verschiedenen kulturellen und religiösen Einflüsse keine Bedeutung für das christliche Proprium an sich. Das Menschen über lange Zeiträume liebgewordene Gewohnheiten wie das Feiern gewisser Feste auch in ihre neue Religion hinüberretten wollen – wie etwa das Weihnachtsfest, das frühere germanische Fest der Sonnenwende – erschließt sich nur als ein allzu menschlicher Vorgang.

 

Eine geschichtstheoretische Kritik finden wir bei Oswald Spengler zu Anfang des 20. Jahrhunderts, indem er die These aufstellte, daß Staaten und Länder, Kulturen und Religionen von ihrer Geburt bis zum Tod einen Zyklus durchlaufen, so wie dies Edward Gibbon (1737-1794) zuvor in Bezug auf das römische Reich formulierte. Spenglers Überlegungen weisen Parallelen zu seinem Zeitgenossen, dem russischen Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Kondratieff (1842-1939) auf, der zyklische Bewegungen in volkswirtschaftlichen Verläufen erkannte. Und auch Paul Kennedy greift diese These in seinem Buch „The Rise and Fall of the great nations“ auf; gemäß diesen Überlegungen befindet sich das Christentum in einer Abschwungphase, die zu ihrem vollständigen Niedergang führe (21). Übertragen auf die katholische Kirche würde dieser Ansatz bedeuten, daß die Kirche sich derzeit in einem Niedergang befände. Mögen auch geschichtstheoretische Überlegungen in Bezug auf Wertewandel und den Säkularisierungsprozess in Westeuropa neue Sichtweisen eröffnen, für die katholische Weltkirche mit seinen starken Verwurzelungen in Lateinamerika und Afrika sind diese Überlegungen nicht zutreffend. Vielmehr stieg 2010 die Zahl der Mitglieder der katholischen Kirche auf über 1,2 Milliarden Menschen an.

 

VIII. Fazit

 

Die Kultur Ägyptens ist heute vom Islam geprägt. Ähnlich wie im christlichen Mittealter, als Staat und Kirche in Europa eine differenzierte Einheit bildeten und alle Lebensbereiche der damaligen Menschen erfasste, so umgreift auch der Islam viele Lebensräume muslimischer Ägypter und Orientalen. Das wird einem besonders deutlich, wenn in Ägypten der Mudschaheddin fünf Mal am Tag laut zum Gebet ruft und dann die Arbeit schweigt, auch in Banken und Reisebüros. Und selbst in westlich geprägten Fitnessstudios finden sich Gebetsräume, um die Einheit von Glaube und Alltag zu demonstrieren.

 

Im ältesten Teil des Neuen Testaments schreibt der Heilige Paulus in den Jahren 53 bis 55 n. Chr. in Ephesus an die Römer: „Was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, und in keines Menschen Herz gekommen ist, das hat Gott bereitet denen, die ihn lieben“. (1 Kor 2,9) Die Liebe, die Gnade und das Erbarmen, welches Gott allen Menschen guten Willens schenkt, greift letztlich außerhalb menschlicher Vorstellungskraft Raum. Die Frage nach Macht und Ohnmacht und auch die Frage der Anfechtung christlicher Kultur in dieser irdischen Welt bleiben im Horizont des christlichen Glaubens, im Angesichts Gottes, ohne Bedeutung und sie ändern nichts an den Glaubensaussagen von Christen und ihrem Bekenntnis zum dreieinigen Gott, so wie ihn Christen von Beginn an bezeugen und wie im Glaubensbekenntnis von Nicäa (325 n. Chr.) und Konstantinopel (381 n. Chr.) die katholische Kirche im Sinne von Joseph Ratzinger immer neu mit Petrus zu Jesus sagt: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16).22 In diesem Sinne müssen Christen frei überall auf der Welt ihren Glauben bekennen dürfen.

 

Die weltweite Verfolgung von Christen, wie sie schon seit langer Zeit stattfindet, ist nicht akzeptabel und weder mit der Charta der Vereinten Nationen noch mit der UN Menschenrechts-Charta vereinbar. Die Achtung der Religionsfreiheit stellt keine Antwort des „Westens“ dar und sie bedeutet auch keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes, sondern sie bildet mit anderen Menschenrechten die Grundlage internationaler Politik. Zur universellen Geltung der Menschenrechte und der Achtung der Religionsfreiheit gibt es keine akzeptable Alternative.

 

Anmerkungen

1) vgl. Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) u.a. (Hg): Märtyrer 2007. Das Jahrbuch zur Christenverfolgung. Frankfurt am Main.
2) vgl. Max Klingberg, Thomas Schirrmacher, Ron Kubsch: Märtyrer 2010. Das Jahrbuch zur Christenverfolgung heute. Bonn 2010.
3) „Die größte Christenverfolgung aller Zeiten“, in: Tages Anzeiger (Schweiz), 24.1.2010; Claudio Habicht: Wo überall Christen verprügelt und Muslime geächtet werden, in: Tages Anzeiger (Schweiz), 1.12. 2009.
4) vgl. hierzu IGFM (Hg.): Wenn Muslime Christen werden – Glaubensabfall und Todesstrafe im Islam. (igfm-dokumente Nr. 4) Frankfurt am Main 2006.
5) vgl. zur Studie und zur Arbeit von Open Doors: www.OpenDoors-de.org.
6) Andreas M. Rauch: Christenverfolgung heute – das Beispiel China, in: Die Neue Ordnung,
54. Jg., Heft 5, S. 592-596; vgl.: ders.: Christ sein ist auch heute lebensgefährlich. In vielen Staaten der Erde sterben Christen für Ihren Glauben, in: Die Tagespost, Nr. 93, 5.8. 2000, S. 6; ders.: Christenverfolgung in aller Welt, in: Die politische Meinung, Nr. 375, Februar 2001, S. 92-95; ders.: Die ersten freien Wahlen im Blick. Bischof Belo: Eine Diskriminierung von Christen ist Bestandteil des indonesischen Alltages, in: Die Tagespost,
17.5. 2001; ders.: Die Christenverfolgung nimmt weltweit zu. Sie reicht von Kirchenschändung über Zwangsbeschneidung bis zu Mord, in: Deutschland-Magazin, Nr. 10, 2001, S. 50.
7) Joseph Ratzinger: Werte in Zeichen des Umbruches. Die Herausforderungen der Zukunft bestehen. Freiburg i. B. 2005, S. 68 ff; siehe auch zu den römischen Wurzeln des Christentums: Joseph Ratzinger: Salz der Erde. München 1996, S. 137 f. und S. 255 und zu den jüdischen Wurzeln des Christentums S. 186 und 262 f.
8) Erwin Gatz: Katholische Kirche in Deutschland im 20. Jahrhundert. Freiburg im Breisgau 2009.
9) Andreas M. Rauch: Kunst als Medium politischer Ideen und christlichen Glaubens, in: Die Neue Ordnung, H. 1., 56 Jg., Februar 2002, S. 39-53.
10) Andreas M. Rauch: Christliche Religion und amerikanischer Film, in: Die Neue Ordnung, Nr. 5, Oktober 2003, 57 Jg., S. 376-391. 65
11) vgl. Adolf von Harnack: Geschichte der alt-christlichen Literatur. Leipzig 1893-1904 (3 Bd.).
12)Adolf Schlatter: Erläuterungen zum Neuen Testament. Erster Band (Die Evangelien und die Apostelgeschichte). Calw und Stuttgart 1908.
13) vgl. Joseph Wohlmut: An der Schwelle zum Heiligtum. Christliche Theologie im Gespräch mit jüdischem Denken. Paderborn 2007.
14) Dennis Krüger: Die vorchristlichen Wurzeln des Christentums, in: Trojaburg, Nr. 1, 2008, S. 8-10.
15) C. W. Ceram (eigentlich: Kurt Wilhelm Marek): Götter, Gräber und Gelehrte. Hamburg 1949 (Bestseller mit einer Auflage von über 5 Mill.), S. 185.
16) vgl. Lucien Febvre: Fernand Brandel: Epochen der Menschheit. Der Mensch der Urzeit. Düsseldorf 1960.
17) Gebetsraum am Ende einer Kirche nur für Priester, vergleichbar mit den Gebeträumen für die Priester in den Tempeln der Pharaonen.
18) siehe Apostolisches Glaubensbekenntnis.
19) Kurt Galling: Textbuch zur Geschichte Israels. Tübingen 1979; vgl. Peter Heather: Der Untergang des Römischen Weltreiches. München 1987; vgl. Michael Höveler-Müller: „Nenne mir alle Männer, die mit dir in den Gräbern waren!“ Aus den Prozeßakten gegen ägyptische Grab- und Tempelräuber bereits in der Zeit des Neuen Reiches gehen zahlreiche Details zu den Hintergründen der Plünderungen hervor, in: Antike Welt, Nr. 2, 2007, S. 15 ff.
20) Samuel Huntington: Clash of civilizations and the remaking of world order. New York 1996.
21) Paul Kennedy: The rise and fall of the great nations. München 2003.
22) Joseph Ratzinger: Jesus von Nazareth. Freiburg, Basel, Wien 2007, S. 407. Professor ehrenhalber Dr. phil. Andreas M. Rauch ist Lehrbeauftragter für Internationale Politik an den Universitäten Duisburg-Essen und Nürnberg-Erlangen und ist als römisch-katholischer Religionslehrer in Köln tätig.

 

{Bericht und Gespräch von Andreas M. Rauch}

 

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