„Verfolgung macht den Glauben stärker„: Christen im Irak zehn Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins
Interview mit Amel Nona, chaldäischer Erzbischof von Mosul
Wien/Bagdad, 20.3.2013: Exzellenz, zehn Jahre nach der amerikanisch geführten Invasion des Irak sagen viele Christen: Saddam war sicher ein Diktator, aber die Lage unter ihm war besser als das Chaos, das wir seither erleben. Stimmen Sie zu?
Erzbischof Nona: »Die gegenwärtige Lage im Irak ist das Ergebnis dessen, was in den letzten vierzig Jahren oder länger gesät worden ist. Es ist deshalb nicht leicht zu erklären, was in unserem Land vor sich geht. Denn dazu müsste man zurück in die Geschichte gehen, um zu wissen, welche die sozialen, politischen und religiösen Gründe sind, die die Persönlichkeit des Irakers von heute geformt haben. Man kann die Situation des Irak unter Saddam indes nicht allein nach Sicherheitsgesichtspunkten rechtfertigen. Man muss vielmehr die ganze Situation kennen, die er geschaffen hat, um beurteilen zu könne, ob es besser oder schlechter war«.
Glauben Sie indes, dass sich die Lage der Kirche nach Jahren des Chaos langsam zu stabilisieren beginnt?
Erzbischof Nona: »Die Lage der Kirche hängt zu einem guten Teil von der Lage des Irak insgesamt ab. Es ist bekannt, dass die Lage auch zehn Jahre nach dem Sturz Saddams weit davon entfernt ist, stabil zu sein. Abgesehen davon haben all die Verfolgungen und der Druck, dem die Kirche all die Jahre ausgesetzt war, dafür gesorgt, dass es noch keine klare Vision für die Zukunft gibt. All das zusammen mit der anhaltenden Abwanderung der Christen erlaubt es der Kirche im Irak insgesamt nicht, Normalität und Stabilität zu finden. So etwas gibt es in manchen Diözesen und Pfarreien in bestimmten Gegenden, aber insgesamt brauchen wir noch Zeit, um uns zu stabilisieren«.
Aber gibt es Ihrer Einschätzung nach eine Möglichkeit, den christlichen Exodus aufzuhalten?
Erzbischof Nona: »Der Exodus der irakischen Christen ist ein Faktum, dem verschiedene Motive zugrunde liegen und nicht nur ein einziges. Man kann deshalb nicht von nur einer Möglichkeit sprechen, den Exodus aufzuhalten. Vielmehr muss man über verschiedene Wege reden, um ihn zu stoppen. Probleme gibt es dabei viele: die allgemeine Lage im Land, die mangelnde Sicherheit, die wirtschaftliche Situation. Hinzu kommen die Veränderungen in der Gesellschaft wie das Anwachsen des islamischen Fundamentalismus. All das ist nicht hilfreich, um den christlichen Exodus aufzuhalten«.
Wie viele Christen haben das Land verlassen?
Erzbischof Nona: »Das ist schwer zu sagen. Ich schätze etwa sechzig Prozent, wenn nicht mehr«.
Ist sich die irakische Regierung der schwierigen Lage der Christen bewusst?
Erzbischof Nona: »Was man von den Verantwortlichen in der irakischen Regierung über die Christen hört, ist immer gut. Aber in Wirklichkeit wissen alle, wie unsere Lage ist, und es gibt keine echte Lösung für unsere Probleme«.
Könnte hier vielleicht der Westen helfen? Etwa durch diplomatischen Druck?
Erzbischof Nona: »Ich glaube, dass der Westen viel machen kann. Man muss indes präzisieren, was man unter Westen versteht. Wenn damit die westliche Politik gemeint ist, dann glaube ich nicht, dass man viel erwarten kann. Wenn wir unter Westen aber die dortige Gesellschaft verstehen, dann ist noch viel möglich, indem man den Christen des Irak etwa durch Projekte in sicheren Gebieten hilft«.
Sie erwähnten vorhin einen wachsenden islamischen Fundamentalismus. Wie kommt das? Durch Einflüsse von außen?
Erzbischof Nona: »Der irakische Islam war nie fundamentalistisch. Aber nach 2003 ist ein radikaler und fundamentalistischer Islam in den ganzen Irak gekommen. Und wenn er einmal da ist, ist es sehr schwierig wenn nicht unmöglich, ihn wieder auszureißen. Aber das Problem ist nicht der Fundamentalismus sondern die Islamisierung der Gesellschaft. Die irakische Gesellschaft hat sich sehr geändert. Sie ist islamistischer und radikaler geworden. Das ist das Resultat all dieser fundamentalistischen Gruppen und einer Politik, die die Religion benutzt, um ihre Ziele zu verwirklichen. Die Angst ist ein wesentliches Element, um die Gesellschaft zu islamisieren. Desto größer die Angst, desto stärker der Fundamentalismus«.
Vielleicht in keiner Stadt haben Christen so sehr unter dem islamischen Fundamentalismus gelitten wie in Mosul, wo sie Erzbischof sind. Wie ist die Lage derzeit?
Erzbischof Nona: Mosul stellt für die Christen noch immer eine Gefahr dar, obwohl wir seit zwei Jahren kein direkt gegen Christen gerichtetes Attentat mehr gehabt haben. Aber die Angst davor besteht fort, weil sich die Lage der Stadt im allgemeinen nicht verbessert hat.
Ist Ihrer Meinung nach der Glaube der Christen durch die Verfolgungen gestärkt worden oder hat er gelitten?
Erzbischof Nona: »Verfolgung macht den Glauben stärker. Und das ist auch hier im Irak so passiert. Aber man darf meiner Meinung nach nicht sagen, dass sich der Glaube heute ohne Zutun der Kirche vertieft. Es ist notwendig, dass wir den Sinn für den Glauben und die Wichtigkeit des christlichen Zeugnisses heute wecken. Ansonsten werden wir, wenn wir einmal die heutigen Lage überwunden haben werden, Schwierigkeiten haben, die neuen Generationen von der Wichtigkeit des Glaubens für das Leben von heute zu überzeugen«.
Genau diesem Zweck dient das vom Heiligen Vater Benedikt XVI. ausgerufene Jahr des Glaubens. Spielt es eine Rolle in der Pastoral des Irak?
Erzbischof Nona: »Meiner Einschätzung nach wird es gut angenommen. Aber das hängt auch von der jeweiligen Diözese ab. In der unsrigen tun wir viel dafür, sowohl auf der Ebene der Pfarreien wie der Diözese, um den Glauben der Gläubigen zu vertiefen«. {von Oliver Maksan}
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Christen bevorzugt
Minister Friedrich plant, Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen

Nicht–Muslime wollen eigenes Lager in Mardin
Mitglieder der syrisch-katholischen Kirche, die aus ihrer bürgerkriegsgebeutelten Heimat in die Türkei geflohen sind, hätten gerne ein eigenes Flüchtlingslager. Diesen Wunsch haben sie bereits an offizieller Stelle vorgetragen. Das gab Yusuf Sağ, Patriarchalvikar der syrisch-katholischen Kirche in der Türkei, bekannt.
Derzeit, so berichtet die türkische Zeitung Hürriyet, gebe es eine ganze Reihe von Christen in Syrien, die in die Türkei flüchten wollen (mehr hier). Ihnen, als auch jenen, die bereits gekommen sind, würde es zupasskommen, wenn es für sie ein eigenes Flüchtlingslager geben würde, etwa in der südöstlichen Stadt Mardin.
Türkei will alle mit offenen Armen empfangen
Erst am vergangenen Montag kam der türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu mit Vertretern der syrisch-katholischen Gemeinde in der Türkei zusammen. In einem offenen Aufruf wandte er sich an alle nicht-muslimischen Communities im Nachbarland. Die Türkei, so seine Botschaft, würde ihre Arme für alle öffnen – ohne religiöse oder ethnische Diskriminierung. Die Gemeindevertreter und Davutoğlu besprachen im Zuge ihrer Zusammenkunft mögliche Unterstützungen, die den Gemeinden im Nahen Osten, vor allem denjenigen in Syrien, entgegen gebracht werden könnten. Auf eine lange Geschichte der Syrer in der Region verweist auch der syrisch-orthodoxe Erzbischof der Diözese Istanbul, Mor Filiksinos Yusuf Çetin. Diese würden gemeinsam mit ihren „muslimischen Brüdern“ leben. Auch er wünscht sich, dass der Krieg in Syrien so schnell als möglich beendet werde. Die Menschen sollten endlich wieder in Sicherheit ihres Lebens, ihrer Religion und ihres Eigentums leben.
Christen fürchten Rebellen in den Lagern
Warum sich die syrischen Christen nur noch unter ihren Glaubensbrüdern sicher fühlten, erklärt Evgil Türker, der Vorsitzende des Verbandes aramäischer Vereine in der Türkei, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk: „In den Flüchtlingslagern sitzen die Rebellen, die al-Nusra-Front und andere Banden, deshalb wollen die Christen dort nicht bleiben. Die Rebellen sammeln in den Lagern junge Männer ein und schicken sie zum Kämpfen über die Grenze zurück nach Syrien. Aber die Christen wollen nicht kämpfen, denn das ist nicht ihr Krieg.“ Schutz würden die christlichen Flüchtlinge daher lieber bei ihren Glaubensbrüdern, den aramäischen Christen der Türkei suchen, obschon es auch von ihnen nicht mehr viele gebe. Von Hungersnöten, Krieg und Verfolgung vertrieben, so heißt es weiter, seien die meisten aramäischen Christen im vergangenen Jahrhundert aus der Türkei ausgewandert. Nur wenige tausend Christen würden heute noch im Tur Abdin leben. Doch diese würden sich nach Kräften bemühen, den Flüchtlingen zu helfen. Doch die Situation ist angespannt. Die Kapazitäten knapp. Der Verband der aramäischen Vereine in der Türkei habe sich deshalb an die türkische Regierung gewandt, so Türker weiter. Das Amt des Ministerpräsidenten habe nicht nur erlaubt, die christlichen Flüchtlinge aus den Lagern zu holen und privat unterzubringen. Der Staat habe den Christen auch finanzielle Unterstützung zugesagt. Komme es zu einer großen Flüchtlingswelle von Christen, dann were der türkische Staat hier ein eigenes Lager für die Christen aufbauen. „Das hat uns die Regierung versprochen“. {Quelle: www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de}