Die ARD-Kirchensendung «Das Wort zum Sonntag» greift an diesem Samstag mit scharfen Worten die Fußball-Weltmeisterschaften in Brasilien 2014 und Katar 2022 auf.
«Längst regiert im Fußball das Geld. Immer mehr», sagt Pfarrer Alfred Buß (66) aus Unna laut Redemanuskript. Er stand bis März 2012 als Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen mit rund 2,5 Millionen Mitgliedern vor. «Selbst im sonst fußballverrückten Brasilien gären Protest und Wut. Die große Mehrheit ist bitterarm. Sie will keine gigantischen Glitzerbauten für die WM und Olympia», so Buß. «Brasilien braucht Krankenhäuser, Bildungseinrichtungen, intakte Verkehrsmittel. „Fifa go home!“ schallt es dem Weltfußballverband nun entgegen». Der Geistliche und begeisterte Fußballfan Buß geht in seinem «Wort zum Sonntag» auch auf die umstrittene WM in Katar ein. «In dem reichen Wüstenstaat will die Fifa die Weltmeisterschaft ausrichten – acht Jahre nach Brasilien. Noch ist unklar, ob das überhaupt geht – Fußball im Sommer bei 50 Grad Celsius. In der Gluthitze schuften unzählige Menschen aus Asien und bauen dafür unter menschenunwürdigen Bedingungen. 44 Nepalesen sollen dabei schon umgekommen sein». Buß weiter: «Die einen sind reich. Die anderen haben nichts. Auch keine Rechte. Nicht einmal das Recht auf Leben». Buß schließt mit einem Appell, sich hier ebenso wie bei der Flüchtlingspolitik in Europa für mehr Menschlichkeit einzusetzen und nachhaltige Entwicklungshilfe zu betreiben. «“Weiter so“ geht gar nicht. Weder in der Flüchtlingspolitik noch beim Fußball in Katar. Es sind schon zu viele gestorben! Aber wenn Flüchtlingskinder unterschiedlichster Sprache sich problemlos auf dem Rasen verstehen – wie bei mir ganz in der Nähe- ist Fußball eine der schönsten Nebensachen der Welt». {Quelle: www.wormser-zeitung.de}
Inspektionsteam riet FIFA von WM in Katar ab
Der frühere FIFA-Inspektor Harold Mayne-Nicholls hat erklärt, dass die FIFA bei der Entscheidung, die WM 2022 in Katar auszutragen, die Empfehlungen der Inspektoren ignoriert habe. Zudem sei ihm schon Tage vor der endgültigen Wahl klar gewesen, dass sich der Wüstenstaat durchsetzen werde. Es sei „unmöglich“, das Turnier in der Sommerhitze Katars auszutragen, bekräftigte Mayne-Nicholls in einem Interview mit „Sky News“. „Wir haben in unserer Zusammenfassung geschrieben, dass es für die Spieler sehr riskant ist, die WM im Juni und Juli auszutragen“, so der frühere Vorsitzende des chilenischen Fußballverbands. Seine persönlichen Erfahrungen vor Ort hätten ihn überzeugt: „Als wir dort herumliefen, war es sehr, sehr warm und nicht einfach. In der Sonne hat man wirklich gelitten, und das waren nicht mehr als 100 Meter.“ Er könne sich nicht vorstellen, dass es den Spielern möglich wäre, über 90 Minuten zu rennen, „selbst mit dem Kühlsystem, denn zu anderen Tageszeiten werden sie dem Klima nicht ausweichen können“.
Entscheidung hat „überrascht“
Mayne-Nicholls, der mittlerweile eine Stiftung in Chile leitet, sei aber vom Abstimmungsergebnis überrascht worden, dass trotz seiner Bedenken Katar als Gastgeber bestimmt hatte. „Drei Tage vor der Entscheidung war ich mir sehr sicher, dass es Katar sein würde, zu viele hatten da schon über Katar gesprochen“, erinnert er sich. „Wir haben mit Ex-Ko-Mitgliedern gesprochen und waren überrascht, dass sie sich für Katar entschieden hatten. Normalerweise würden sie sich für andere Gastgeber aussprechen“, so der 52-Jährige. „Es war eine Überraschung, weil es eine Option war, aber eben nicht die beste Option“. Gleichzeitig betonte er jedoch, dass seiner Meinung nach alles mit rechten Dingen zugegangen sei. „Was ich sagen kann, ist, dass mir von keiner Seite etwas angeboten wurde, weder von Katar noch sonst jemandem. Niemand hat sich eingemischt, wir konnten unsere Arbeit machen.“ Es gäbe keine Beweise für Unregelmäßigkeiten bei der Wahl. {Quelle: www.sportal.de}
WM in Katar: Die Zwangsarbeiter für die Superreichen
Arbeit mit den eigenen Händen ist unter Katarern verpönt.
Auf 230.000 Einheimische kommen deshalb rund 1,6 Millionen Gastarbeiter,
von denen viele wie Sklaven arbeiten.
Zehn Kilometer vor den Toren von Doha stampft Katar eine neue Stadt aus dem Wüstenboden. Lusail City wird die glamouröse Metropole einmal heißen, geplant als Drehscheibe für die Fußballweltmeisterschaft 2022 – das erste globale Fußballspektakel auf arabischem Boden. Hier soll die gigantische 90.000-Zuschauer-Arena für das Endspiel errichtet werden, hier entstehen die meisten der 29 neuen Hotels, um die angereisten Fans zu beherbergen. Gleichzeitig will Katars Emirfamilie die gesamte Infrastruktur ihres superreichen Ministaats modernisieren: Mehr als hundert Kilometer Metro sind geplant, eine Autobahnbrücke nach Bahrain, dazu ein komplett neues Schienennetz für ihre Halbinsel im Persischen Golf. So kühn und fantastisch, so superreich und glitzernd – doch seit den Vorwürfen von Sklavenarbeit auf Katars Großbaustellen gerät nun erstmals auch die düstere Rückseite des weltweit bewunderten Baubooms ins internationale Rampenlicht: das Schicksal der Millionen Migrantenarbeiter aus Indien, Pakistan, Sri Lanka, Bangladesch und Nepal in der Golfregion. Nicht nur in Doha, auch in Dubai, Abu Dhabi, Riad und Kuwait City schuften Hunderttausende indische und asiatische Arbeitskräfte auf spektakulären Megabaustellen – schlecht bezahlt und schlecht ernährt, untergebracht in überfüllten, schäbigen Massenbaracken vor den Toren der Städte. Wer krank wird, bekommt die Tage im Bett vom Lohn abgezogen.
In Katar starben im vergangenen Jahr rund 200 Arbeiter aus Nepal,
viele an Herzversagen nach extrem langen Schichten in der Gluthitze oder durch schwere Arbeitsunfälle.
Bei Beschäftigten aus Indien, Bangladesch und Sri Lanka liegen die Zahlen ähnlich hoch,
mehr als 1.000 wurden auf den Baustellen verletzt.
Und dennoch machen sich nach wie vor Hunderttausende junge Männer und Frauen auf die Hoffnungsreise in den Nahen Osten. Denn die Staaten am Persischen Golf gehören zu den reichsten Ländern der Welt. Ihr Wohlstand jedoch ruht auf den Schultern eines stetig wachsenden Heeres von Wanderarbeitern. Zwölf Millionen arbeiten inzwischen in den Emiraten und Monarchien der Arabischen Halbinsel, die Frauen als Hausangestellte, die Männer auf dem Bau, als Verkäufer, Kellner, Putzleute oder Taxifahrer. Mit neun Millionen geht der Löwenanteil nach Saudi-Arabien, wo Migranten ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. In Kuwait und Katar liegt ihr Anteil bei 70 Prozent, in Dubai und Abu Dhabi, den beiden glitzernden Metropolen der Vereinigten Arabischen Emirate, sogar bei 90 Prozent. Keine andere Region der Welt nutzt Dienste von Gastarbeitern in solchen Dimensionen und mit solchen jährlichen Zuwachsraten.
Die jungen Saudi-Araber, Katarer und Kuwaiter denken gar nicht daran, sich die Finger schmutzig zu machen. Manuelle Arbeit ist verpönt und zu den mageren Löhnen der ausländischen Migranten mögen sie schon gar nicht schuften. Stattdessen streben sie alle nach einem sicheren Posten im ohnehin schon aufgeblähten Staatsdienst. Ihr Lebensziel ist ein ruhiger Schreibtischjob, möglichst üppig bezahlt, mit kurzen Arbeitszeiten, während das Millionenheer der Inder und Asiaten Wohlstand und Wirtschaft am Laufen hält, in der Regel mit Monatslöhnen zwischen 150 und 400 Euro. Allein in Saudi-Arabien, dem mit Abstand bevölkerungsreichsten Golfstaat, sind nach Angaben des Arbeitsministeriums zwei Millionen einheimische Männer und 1,7 Millionen einheimische Frauen arbeitslos, fast ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung. Doch 90 Prozent der Arbeitsplätze, die heute von asiatischen Gastarbeitern ausgefüllt werden, seien „ihrer Natur nach nicht geeignet für Bürger des Königreiches Saudi-Arabien“, erläuterte Arbeitsminister Adel Faqih im Namen seiner ölsatten Landsleute. Da der öffentliche Sektor aus allen Nähten platzt, werden Privatfirmen nun mehr und mehr per Gesetz gezwungen, Quoten-Saudis einzustellen. Damit die mit ihrer geringen Arbeitsmoral und Unzuverlässigkeit jedoch nicht zu viel Chaos anrichten, zahlen Privatunternehmen dem verwöhnten Nachwuchs allzu oft jeden Monat ein Gehalt und schicken ihn nach Hause.
Für das Ausreisevisum ist die Unterschrift des Sponsors nötig
Beim kleinen Nachbarn Katar wiederum kommen auf 230.000 Einheimische momentan rund 1,6 Millionen Gastarbeiter. Bis zu Beginn der WM wird deren Zahl um eine weitere halbe Million wachsen. Von den 230.000 Katarern sind lediglich 45.000 Männer und 25.000 Frauen im Arbeitsleben aktiv. Sie steuern das Unternehmen Katar, politisch, wirtschaftlich und strategisch. Fast alle sind beim Staat beschäftigt, im September 2011, während des Arabischen Frühlings, gab es quer durch die Bank eine 60-Prozent-Gehaltserhöhung aus der Staatskasse. Katarische Lehrer bekommen jetzt ein Einstiegsgehalt von 9.000 Euro im Monat, ihre ägyptischen und sudanesischen Kollegen müssen mit einem Viertel davon auskommen. Auch kann niemand hier eine Firma ohne katarischen Teilhaber aufmachen, der sich danach meist darauf beschränkt, die Hand aufzuhalten. Heiratet ein Katarer, kann er sich auf dem Katasteramt ein Baugrundstück aussuchen, die nötige Million für die neue Villa legt der Staat noch obendrauf. Strom, Wasser und Krankenversicherung sind lebenslang kostenlos. Nur das Tanken muss noch jeder selbst bezahlen.
Die Heerscharen ihrer Bediensteten dagegen haben viel bescheidenere Anliegen. Sie suchen Arbeit, bessere Löhne und einen Ausweg aus der Misere daheim. Die wenigsten ahnen, was sie am Golf erwartet. Denn jeder Neuankömmling braucht für sein Arbeitsvisum einen lokalen Sponsor, der nach einem dubiosen Bürgschaftssystem, Kafala genannt, allmächtig ist. Die meisten bekommen bei Ankunft ihren Pass abgenommen, sind jeder Willkür ausgeliefert und dürfen erst nach zwei Jahren ihre Familie daheim besuchen. „Der Arbeiter ist völlig an seinen Arbeitgeber gebunden. Er kann ihn nicht verlassen, egal, wie schlimm er behandelt wird“, sagt Nicholas McGeehan von Human Rights Watch. Wie eine Arbeitsmaschine reichen einheimische Unternehmer die Gastarbeiter nach Belieben an andere weiter – ohne deren Einverständnis einzuholen. Ein gesetzlicher Mindestlohn existiert ebenso wenig wie eine gesetzliche Krankenversicherungspflicht. Wer widerspricht, vorenthaltene Bezahlung nachfordert oder gar streikt, fliegt raus und muss die Heimreise antreten. Auch Kündigung, Wechsel des Arbeitgebers und Flucht aus dem Gastland sind praktisch unmöglich: Für das Ausreisevisum ist die Unterschrift des Sponsors nötig.
Das erfüllt nach den Maßstäben der Internationalen Arbeitsorganisation ILO den Tatbestand der Zwangsarbeit. Nach einer ILO-Studie aus dem Jahr 2012 mit dem Titel Getäuscht und gefangen – Menschenhandel im Mittleren Osten fristen schätzungsweise 600.000 Menschen ein Dasein als moderne Arbeitssklaven. Die Menschen würden „systematisch belogen hinsichtlich ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen, oft existieren die versprochenen Arbeitsplätze auch gar nicht“, heißt es. Besonders skandalös ist der Umgang mit weiblichen Haushaltshilfen. Sie werden geschlagen, seelisch terrorisiert oder sexuell missbraucht, weshalb Länder wie die Philippinen, Nepal und Indonesien in den vergangenen beiden Jahren ihren Staatsbürgerinnen verboten, sich weiterhin von arabischen Staaten anwerben zu lassen. „Ich habe immer nur das zu essen bekommen, was die Herrschaften auf ihren Tellern übrig ließen“, berichtete eine Philippinerin, die sich in Kuwait City in die Botschaft ihres Landes geflüchtet hatte. Als die Familie dann noch von ihr verlangte, um 3 Uhr früh die Fenster des Hauses zu putzen, entschloss sie sich zur Flucht. Nach Einschätzung des US-Außenministeriums ist die Misshandlung von Haushaltshilfen in Kuwait so verbreitet, dass dies den Tatbestand des Menschenhandels erfüllt.
Und so prangern Menschenrechtsorganisationen die Zustände an als moderne Sklaverei, Ausbeutung und Zwangsarbeit, ein Vorwurf, den diese Woche der Vorsitzende des katarischen Nationalkomitees für Menschenrechte, Ali al-Marri, energisch bestritt, auch wenn er zugab, dass es „einige Probleme“ gebe. Der Arbeitsminister Saleh al-Khulaifi versprach angesichts der internationalen Empörung, sein Land werde für die WM-Baustellen die Zahl der Arbeitskontrolleure von 150 auf 300 verdoppeln, eine Ankündigung, die Sharan Burrow, Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbundes, „schwach und enttäuschend“ nannte. „Diese Inspektoren haben schon jetzt keinerlei Effekt“, kritisierte sie und forderte ein „sehr deutliches Signal“ des Weltfußballverbands an die Adresse des Emirates. „Die Fifa darf nicht erlauben, dass die WM 2022 errichtet wird auf dem Fundament moderner Sklaverei. In Katar aber ist das die Realität von Hunderttausenden Arbeitsmigranten“. {Quelle: www.zeit.de – von Martin Gehlen}