Unterhaching: Winfried Brunner (75) spricht über Raketentriebwerke und Solaranlagen. Der Aufbau der größten und modernsten Solaranlage Ägyptens beanspruchte seine volle Aufmerksamkeit. Dafür hat er insgesamt etwa ein halbes Jahr im koptischen Antoniuskloster in Ägypten verbracht. Der 75-Jährige war mehrfach in Ägypten. Mal eine Woche, mal bis zu sechs Wochen. „Am Anfang war es nicht so schlimm“, sagt er. Später, als sich die Proteste von Regimegegnern und regierungsfreundlichen Demonstranten zuspitzten, sei es kritischer geworden. „Wegen der Proteste waren wir zeitweise die einzigen Gäste im Hotel, das in der Nähe des Tahrirplatzes in Kairo lag. Wir mussten es mit einer Polizeieskorte verlassen und passierten zwei Militärkontrollen auf dem Weg ins Kloster“, berichtet der Diplomingenieur. Entführungen seien verbreitet, regelmäßige Meldungen bei der deutschen Botschaft nötig gewesen. Sicherheitsfragen: Zur Sicherheit ist das Projekt in Ägypten nicht an die große Glocke gehängt worden: „Es wäre fatal, wenn irgendwelche Leute kämen und alles aus ideologischen Gründen kurz und klein schlagen würden“. Die politische Lage in Ägypten macht Brunner „große Sorgen“. Zentrale Voraussetzung für das Projekt war die abgelegene Lage. In dem alten, wehrhaften Kloster hat er sich als Teil der Gemeinschaft gefühlt. Am Ende nannten ihn alle: „Winfried el-Antony“. Das ist eine Identitätsbezeichnung und bedeutet so viel wie „Winfried aus dem Antonius-Kloster“. Er erzählt weiter: „Ich war im komfortablen Gästetrakt untergebracht, Pater Maximus und ich haben dort gemeinsam gewohnt und gekocht. Er hat auch für mich eingekauft, denn ich kann ja kein Arabisch“. Über Skype und E-Mail hielt Brunner Kontakt zur Familie und zu seiner heimischen Kirchengemeinde.
Während einer Studienreise im Jahr 2008 hatte der Ingenieur das Kloster mitten in der arabischen Wüste zum ersten Mal besucht. Dort produzierten die 125 Mönche und 300 Mitarbeiter ihren Strom mit vier Dieselgeneratoren, weil es keinen Anschluss an das öffentliche Netz gab. Brunner sagte einen schicksalhaften Satz, der später Konsequenzen hatte: „Das wäre doch ein toller Ort für eine Photovoltaikanlage„. Wenig später erhielt der Unterhachinger Besuch von einer 30-köpfigen Gruppe von Ägyptern, die in München leben. Sie fragten nach Details zu einer möglichen Solaranlage. „Wenn ich eine Idee gut finde und jemandem davon erzähle, fühle ich mich dieser Idee auch verpflichtet“. Brunner nennt ein Beispiel: Er habe das Triebwerk HM-7 für die Ariane-Rakete mitentwickelt, aber in der Solarindustrie „bin ich nicht groß geworden“. Deshalb stellte sich Brunner die Frage, ob er sich das zutrauen könne. Als er später viel Unterstützung erfuhr, war er sicher: „Wir schaffen das„. Am Anfang standen dem Mann im Ruhestand nur der Verein „Freunde des Hl. Antonius München“ und Misereor zur Seite. Vor vier Jahren hatte Brunner dann eine Idee, mit der er auch Investoren aus der Solarbranche für das 600 000-Euro-Projekt gewinnen konnte: Das Problem bei sogenannten „Off-Grid-Hybrid-Solaranlagen„ ist, dass sie im Moment des Bedarfs entweder zu viel oder zu wenig Energie liefern. Der Unterhachinger entwickelte eine Steuerungssoftware, die die Solaranlage mit den vier Generatoren des Klosters so koordiniert, dass immer genug Strom vorhanden ist. „Diese Steuerung ist weltweit einzigartig“, sagt der Entwickler. Dann zeigt er Fotos von den Bauarbeiten im Jahr 2011: Mit Pickel, Schaufel und Schubkarren planieren Mönche und Arbeiter in der Wüstenhitze die Fläche für eine kleine Probe-Anlage. Die Ägypter heben die 60 Zentimeter tiefen Pfahlfundamente aus und schweißen die Solarzellenträger in der klostereigenen Schlosserei zusammen. „Die Mönche sind unglaublich erfinderisch. Der ägyptische Pater Maximus ist Agraringenieur, ein echter Genius“. Er, Brunner, habe eine Treppe minutiös ausgemessen.
Naturtalente
Pater Maximus nahm ihm den Stift aus der Hand und zeichnete die Stufen an die Wand – absolut genau. Der Pater ist in Deutschland in Solartechnik geschult worden, damit er sich um die Wartung der Anlage kümmern kann. Die Arbeiter in Ägypten hat Brunner selbst eingewiesen. Mit ihnen kam er „ganz hervorragend“ zurecht. Wichtiges Handwerkszeug: Organisationstalent und Erfindungsreichtum. Weniger hervorragend lief es mit der gelieferten Technik für das Projekt: „Die Zölle sind unglaublich hoch, und es müssen Bestechungsgelder gezahlt werden“. Die deutsche Firma, die den Großteil der Solarzellen herstellen und liefern sollte, machte Schwierigkeiten. Brunner berichtet: „Erst lieferte das Unternehmen zu spät. Dann hat die Firma die falschen Zellen geliefert, und wir mussten das Areal um fast die Hälfte vergrößern, um mit den schwächeren Zellen die gleiche Leistung zu erreichen. Ich war froh, als die Zusammenarbeit mit dieser Firma vorbei war“, rekapituliert der Ingenieur. Ein logistisches Problem lässt den Unterhachinger allerdings dann doch wieder schmunzeln: Einer der Dieselgeneratoren benötigte einen neuen Kühler. Der namhafte, global operierende Hersteller konnte auf der ganzen Welt keinen bereitstellen.
Lieferengpässe
Ein mittelständisches Unternehmen aus Weilheim in Oberbayern dagegen hatte das benötigte Teil vorrätig und lieferte sofort. Klosternetz ein. Heute liegt die Gesamtkapazität bei etwa 210 Kilowatt.
Der koptische Papst Tawadros II. weihte sie Anfang des Jahres offiziell ein.
Als nächstes soll der Pumpspeicher gebaut werden, außerdem möchte man unter den Solarzellen Gemüse anbauen. Doch dafür wird der Unterhachinger wohl nicht mehr in Ägypten benötigt. „Ich hoffe, dass ich nur noch zur offiziellen Übergabe wieder runter muss.“ Der Termin dafür wurde aus Sicherheitsgründen jedoch schon mehrmals verschoben.
von Christoph Baab