„Menschlicher Abschaum„: Mit Flüchtlingen kennt Nordkorea kein Erbarmen
Sie gehen nach China, um Essen zu besorgen oder weil sie Verfolgung fürchten. Werden nordkoreanische Flüchtlinge aufgegriffen, wartet ein Leidensweg auf sie: Folter beim Verhör, Untersuchungen im Intimbereichs, Schwangere werden zur Abtreibung gezwungen. Teil vier zum UN-Report über das abgeschottete Regime. „Menschlicher Abschaum“ – so bezeichnete die staatliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA im vergangenen Sommer Flüchtlinge, die in öffentlichen Anhörungen der Vereinten Nationen über ihre Erfahrungen in Nordkorea berichteten. Sie seien „Elemente“, die sich „in der reinen Demokratischen Volksrepubik von Korea“ für Verbrechen wie Mord, Raub, Plünderung, Veruntreuung von Staatseigentum und Korruption verantworten hätten müssen. Die Wahrheit sieht nach Erkenntnissen einer UN-Kommission meist anders aus. Sie hat mehr als 240 Interviews von Geflohenen und anderen Zeugen ausgewertet und einen 372-Seiten-Bericht das nordkoreanische Schreckensregime veröffentlicht.
Am Nasenring durch den Ort gezogen
Die meisten Nordkoreaner flüchten demzufolge über die Grenze nach China, weil sie der Armut entkommen wollen oder weil sie Verfolgung fürchten. Insbesondere in den 90er-Jahren, zu Zeiten der Hungersnot, ging es den Menschen ums nackte Überleben. Obwohl damals Hunderttausende verhungerten, hielt Kim Jong Il, der Vater des jetzigen Machthabers, am strikten Ausreiseverbot fest. Lokale Funktionäre kannten mit aufgegabelten Flüchtlingen kein Erbarmen. Die geflohene Kwon Young-hee berichtete von ihrem Bruder, der 1994 auf chinesischem Territorium aufgegriffen wurde, weil er nach Nahrung suchte. Die Armee hatte ihn wegen Unterernährung entlassen, er litt an Diabetes und sah keinen anderen Ausweg. Wegen seines „staatsfeindlichen Vergehens“ wurde er von einem Traktor durch seine Heimatstadt Musan gezogen. Schon als er Musan erreichte, sei sein Gesicht blutüberströmt gewesen, sagte Kwon. „Selbst als mein Bruder zusammenbrach, fuhr der Traktor weiter”. In einem anderen Fall wurde ein Mann an einem Nasenring von einem Auto durch Musan gezogen. In Lautsprecherdurchsagen wurde er Verräter geschimpft, Kinder liefen ihm hinterher und bewarfen ihn mit Steinen.
Der Willkür der Wachleute ausgeliefert
Über die Jahre spielte sich eine systematische Vorgehensweise der Behörden ein: Chinesische Beamte liefern Flüchtlinge an der Grenze Polizisten oder Agenten der nordkoreanischen Staatssicherheit SSD aus. Von dort aus geht es in Arrestzentren in den Grenzstädten, wo die Flüchtlinge unter Folter verhört werden. Das weitere Schicksal hängt von der Schwere des Vergehens ab. Wer Kontakt zu Südkoreanern oder christlichen Missionaren hatte, muss sich weiteren Befragungen in übergeordneten Geheimdiensteinrichtungen unterziehen. Dann landen Festgenommene ohne Prozess in einem der gefürchteten politischen Internierungslager oder – wenn sie Glück haben – in einem „normalen“ Umerziehungslager. Öffentlich hingerichtet wird, wer besonders schwere Vergehen wie Spionage beichten musste. Bereits in den Arrestzentren sind die Menschen der Willkür der Wärter ausgeliefert. Eine Zeugin erzählte, dass sie und ihre Mitinsassen den ganzen Tag knien und – die Hände auf dem Rücken – zu Boden schauen. Als sie einmal aufblickte, wurde sie umgehend in die Brust getreten. Als eine Mitinsassin, eine alte Frau, Wachleute um Schuhe bat, antworteten jene, sie verdiene keine Schuhe, weil sie nicht besser als Vieh sei und bald sterben solle. Dann schlugen die Männer sie blutig.
Kinder mit chinesischem Blut müssen sterben
Bei Ankunft in den Einrichtungen müssen sich Festgenommene Leibesvisitationen unterziehen, die vor allem für Frauen äußerst demütigend sind: Sie müssen nackt in die Hocke gehen, während Wachleute ihre Vagina durchsuchen. In einem Fall hatte eine Frau gerade ihr Kind verloren, für sie gab es keine Ausnahme. Der UN-Kommission liegen außerdem Berichte vor, nach denen Wachleute Frauen sexuell missbrauchen. Auch wer „nur“ nach Nahrung oder Arbeit in China gesucht hat, landet zum Verhör in Arrestzentren, in denen Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Eine Zeugin berichtete, nur zwei Löffel Mais und eine Schale mit Rettichsuppe pro Tag bekommen zu haben. Ihre Zelle, die sie sich mit zehn anderen Gefangenen teilte, maß gerade mal zwei mal zwei Meter. Ein Loch im Boden diente als Toilette. Ohne Erlaubnis des Wachmanns durfte sie nicht benutzt werden, sonst gab es Schläge. Bei den Verhören wurde ohnehin gefoltert.
Kriminelle schlagen Flüchtling tot
Eine anderer Zeuge erlebte fünf harte Monate in einem Arrest in der grenznahen Stadt Chongjin: Auch hier gab es nur wenig zu essen: drei Mal täglich fünf Löffel Mais. Der Häftling verschacherte Kleidungsstücke an andere Insassen, die von Verwandten Lebensmittelpakete erhielten. Erwachsene mussten zehn Stunden lang in einem Kohlelager oder auf dem Feld arbeiten. Während seines Aufenthalts starben 13 Insassen. Neben Flüchtlingen gab es auch “normale Kriminelle”. Sie wurden angewiesen, die Republikflüchtlinge zu „disziplinieren“. Eines Nachts bekam der Zeuge mit, wie Insassen einen Mann stundenlang schlugen, der verdächtigt wurde, Kontakt zu Südkoreanern zu haben. Die Wachleute griffen nicht ein, der Mann, der einen siebenjährigen ebenfalls, inhaftierten Sohn hatte, starb. Der Junge wurde schließlich in ein Waisenhaus gebracht.
Regime will keine Mischlinge
Grausames blüht schwangeren Flüchtlingen: Nach Berichten, die der Kommission vorliegen, werden sie in den Arrestzentren zu Abtreibung gezwungen – obwohl dies gegen nordkoreanisches Recht verstößt. Kann eine Frau die Schwangerschaft während der Verhörphase verbergen, dann droht der Eingriff während der folgenden Haft im Lager. Nach Zeugenaussagen ordnet das Regime Abtreibungen an, weil es keine Kinder mit chinesischem Blut duldet. Eine Geflüchtete beobachtete, wie Beamte einer Frau Chemikalien in den Uterus einflößten und dabei sagten, Menschen mit gemischtem Blut müssten ausgerottet werden. Ein früherer Agent der Staatssicherheit bestätigte, dem Machtapparat sei es wichtig, dass die koreanische Rasse „rein“ bleibt. Kinder, die nicht 100-prozentig koreanisch sind, seien „weniger menschlich“. Schwangere werden allerdings nicht gefragt, ob der Kindesvater tatsächlich ein Chinese ist. Es geht noch schlimmer, wie Berichte von Betroffenen zeigen: Gebären Frauen ihre Kinder doch, nehmen Wachleute die Neugeborenen mit und töten sie. {Quelle: www.focus.de}