Arabische Atheisten entdecken das Internet
Die islamische Welt kennt nur wenige Atheisten – denn kaum einer wagt es, sich öffentlich zu bekennen.
Doch es gibt immer mehr Internetforen, in denen sich Gleichgesinnte austauschen können.
Rafat Awad ist einer der wenigen, die sich offen zum Atheismus bekennen. Irgendwann habe er begonnen, an seinem Glauben zu zweifeln, erzählt der 23-jährige Palästinenser, der in den Vereinigten Arabischen Emiraten lebt. Seine Eltern hätten ihn zu Geistlichen geschickt, die ihn bekehren sollten – vergeblich. „Ich bin seitdem ein neuer Mensch geworden“, sagt der Apotheker. Atheismus ist in der arabischen Welt, in der die Religion tief in der Gesellschaft verankert ist, ein Tabu. Wer sich als „Nichtgläubiger“ zu erkennen gibt, riskiert nicht nur soziale Isolation, manchmal auch drakonische Strafen. Doch scheint sich etwas zu verändern. Seit dem Arabischen Frühling gibt es immer mehr Online-Foren, über die auch Atheisten Kontakt zueinander aufnehmen können. „Vor der Revolution habe ich einsam gelebt“, berichtet ein 40-jähriger Ägypter. „Ich dachte, niemand denke wie ich. Jetzt haben wir mehr Mut.“ Trotzdem will er anonym bleiben, befürchtet andernfalls, wie viele Gleichgesinnte auch, Repressalien oder Probleme mit seiner Familie.
Drei Jahre Haft für Atheisten in Ägypten
In der arabischen Welt wird es toleriert, wenn jemand seinen Glauben nicht aktiv lebt, nicht die Moschee besucht oder betet. Auch Säkularismus wird geduldet. Atheismus aber wird nicht akzeptiert. In manchen Ländern geraten Atheisten sogar ins Visier der Justiz, zum Beispiel wegen Blasphemie. So wurde im vergangenen Jahr in Ägypten ein bekennender Atheist zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt, nachdem Nachbarn den Behörden gemeldet hatten, der Mann habe einen antiislamischen Film auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht. Der Betroffene, der die Vorwürfe zurückgewiesen hat, lebt mittlerweile in Frankreich im Exil. Allein bei Facebook gibt es etwa 60 Gruppen, in denen sich arabischsprachige Atheisten austauschen können. Die meisten davon sind in den vergangenen zwei Jahren, also nach Beginn des Arabischen Frühlings, gegründet worden. Sie haben Namen wie „Atheisten in Jemen“ – mit gerade einmal 25 Mitgliedern – bis hin zu „Sudanesische Atheisten“ mit 10.344 Mitgliedern. Wie viele Atheisten es in der islamischen Welt tatsächlich gibt, ist nicht bekannt.
Nicht zu glauben ist ein Kapitalverbrechen
Vielen islamischen Theologen gilt Atheismus als Kapitalverbrechen. In den vergangenen Jahren ist allerdings niemand, soweit bekannt, deswegen zu Tode gekommen. Einige Gelehrte vertreten die Ansicht, dass Atheisten nur dann bestraft werden sollten, wenn sie andere von ihrer Haltung zu überzeugen versuchen. Wieder andere sprechen sich für Toleranz gegenüber Menschen aus, die nicht glauben; sie berufen sich auf den Koran, in dem es sinngemäß heiße, dass es keinen Religionszwang gebe. Der in Israel ansässige muslimische Religionswissenschaftler Mustafa Abu Sway erklärt, die meisten Gelehrten unterschieden zwischen Personen, „die eine eigene Meinung haben und anderen, die den Frieden der Gesellschaft stören“. Hoch ist aber oft der soziale Preis, den Atheisten zahlen. Einige erzählen, die Familie habe mit ihnen gebrochen, Freundschaften seien beendet worden. Viele berichten von Jahren der Isolation und Depression. Der 26-jährige Ägypter Mohammed ist darauf erpicht, dass seine Familie von seiner Einstellung nichts erfährt.
„Es ist eher eine Phase“
„Es gibt Leute, die sagen, wir sollten mutig sein und an die Öffentlichkeit gehen“, erklärt er. „Ich würde für meine Überzeugungen kämpfen, aber es würde bedeuten, dass ich nicht länger bei meiner Familie bleiben könnte.“ Dass mittlerweile in Internetforen mit Gleichgesinnten diskutiert werden kann, empfinden so gut wie alle als Ermutigung. Abu Sway glaubt nicht, dass sich Atheismus in der arabischen Welt ausbreiten wird. Es sei mehr eine Art Unzufriedenheit mit traditionellen Einrichtungen, sagt er. „Es ist nichts Systematisches, es ist eher eine Phase“. In den 60er- und 70er-Jahren gab es im Nahen Osten mehr Toleranz bei der Diskussion über religiöse Fragen. Themen wie Säkularismus oder Atheismus waren kein Tabu. Erst mit dem Erstarken islamistischer Bewegungen in den 1980er Jahren wurde es für Muslime schwieriger, sich von ihrer Religion abzuwenden. Der Palästinenser Waleed al-Husseini, der mehrere Monate im Gefängnis saß, weil er sich angeblich im Internet über den Islam lustig gemacht hatte, hofft auf einen Wandel. „Die Leute haben Angst, aber sie sehen jetzt, dass es auch andere gibt, die wie sie denken“, sagt er. „Sie treffen sich im Internet, womöglich unter falschem Namen – aber sie sind da“. {Quelle: welt.de – Von Diaa Hadid}
Wo sind die Frauen?
Über die irritierende Männlichkeit des Atheismus
Während der „neue Atheismus“ in den industrialisierten Ländern langsam an Boden gewinnt, beginnen sich einige Autorinnen zu fragen, wo eigentlich die neuen Atheistinnen bleiben.
Gibt es sie nicht, oder sind sie im Abseits der Medienaufmerksamkeit sehr wohl existent?
Richard Dawkins und Christopher Hitchens – zwei Namen, die nahezu jedem einfallen, der sich überhaupt für den „neuen Atheismus“ interessiert. Fragt man nach Atheistinnen mit Starstatus, tritt schnell Stille ein, und ich gebe geniert zu, dass das bei mir genau so ist. Ein bisschen wirkt das wie die peinlichen Fehler der britischen Presse im Umgang mit Wimbledon 2013: Andy Murray habe als erster für einen britischen Wimbledon-Triumph seit 77 Jahren gesorgt, hieß es, was die Turniergewinne von Dorothy Round Little (1937), Angela Mortimer Barrett (1961), Ann Haydon Jones (1969) und zuletzt Virginia Wade (1977) in einem Akt patriarchaler Zauberkunst zum Verschwinden gebracht hatte. Der Kommentar der feministischen Autorin Chloe Angyal trifft es wohl am besten: Murray is indeed the first Brit to win Wimbledon in 77 years unless you think women are people. Nun ist weder der neue Atheismus sehr neu, noch die patriarchale Zauberkunst, aber es ist schon erstaunlich, dass sich auch in einer Dissidentenbewegung, die dem rationalen Gedanken die Erkenntnis der Wirklichkeit am ehesten zutraut, ein irrationaler Überhang von Männern abzeichnet.
Wenn alle Menschen grundsätzlich gleich sind und wenn es ungefähr genauso viele Männer wie Frauen auf der Welt gibt
(in den Industrienationen sogar einen leichten Frauenüberhang) – wo bleiben die Atheistinnen?
Minderheit in der Minderheit
In ihrem Artikel „Five reasons there aren’t more women in atheism“ vom Juli 2013 gibt die Autorin Soraya Chemaly ein paar Antworten auf die Frage. Zunächst einmal seien Frauen grundsätzlich gläubiger – eine Auskunft, die statistisch belegbar ist. Bei entsprechenden Umfragen gibt immer ein siginifikant niedrigerer Anteil von Frauen im Vergleich zu Männern an, atheistisch zu denken, und das macht Frauen „automatisch“ zu einer Minderheit in einer Minderheit. Chemaly glaubt, dass dieser Automatismus in Wirklichkeit auf sozioökonomischen Grundlagen beruht: Frauen, die nach wie vor die Hauptverantwortung für das Familienleben trügen, hätten oft gar keine Wahl, als die Unterstützung durch religiöse Hilfsangebote im Umfeld von Kirchen, Moscheen und Synagogen anzunehmen – Atheismus vertrage sich mit dieser Art Abhängigkeit schlecht.
Sexismus unter Atheisten
Zweitens habe der Sexismus in glaubenskritischen Zirkeln genau so einen großen Einfluss wie in der Restgesellschaft. Die aktive, häufig sexualisierte Frauenfeindschaft in der Atheisten-Community lässt sich anhand der Erfahrungen von Rebecca Watson und anderer Skeptikerinnen belegen. Richard Dawkins selbst machte in der Auseinandersetzung mit ihrer Konfrontation des atheistischen Sexismus keine furchtbar gute Figur. Seine wenig sinnvollen Bemerkungen waren aber kein Vergleich zu der Woge aus Hass (bis hin zu Mord- und Vergewaltigungsdrohungen) aus einer Szene, der sie sich bis dahin noch zugehörig gefühlt hatte. Sie machte also eine ähnliche Erfahrung wie Anita Sarkeesian, die als Gamerin 2012 bei Kickstarter Geld für einen Videoreihe über frauenfeindliche Stereotypen in Computerspielen eingeworben hatte (Die wollen doch nur spielen). Chemaly argumentiert, dass es viele Frauen müde mache, sich immer wieder mit diesen Auswüchsen an Dummheit und Brutalität auseinanderzusetzen, und dass sie lieber zweimal darüber nachdächten, in welche gesellschaftlichen Themen sie ihre Energie steckten – in ermüdende Kämpfe mit Männern, die „eigentlich“ auf der „richtigen Seite“ stehen (aber dann eben nicht), oder doch lieber in Primärthemen wie die Gleichberechtigung und Gleichbezahlung am Arbeitsplatz, der Kampf gegen sexualisierte Gewalt etc.
Grund vier und fünf: Männer seien in den Medien ohnehin überrepräsentiert, daher auch in den medialen Darstellungen zum gegenwärtigen Atheismus, und Männerseilschaften schafften es genau so gut wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen auch in der Atheistenbewegung, Frauen von Schaltstellen und relevanten Positionen möglichst fern zu halten. Das sind alles valide Punkte, aber am meisten interessieren mich drei Dinge. Die These von der stärkeren Tendenz der Frauen zur Frömmigkeit deckt sich mit meinen privaten Beobachtungen. Die Anzahl meiner weiblichen Bekannten, die ich bei einem Wechsel von den offiziellen zu nicht-offiziellen Kirchen habe beobachten können (darunter auch durchaus die giftigeren Varianten), ist beträchtlich, ebenso wie die Anzahl der Frauen, die trotz massiver Bauchschmerzen genau dort bleiben, wo sie schon immer waren – in den Fängen irgendwelcher männlicher Priesterschaften, die nur ihr Bestes wollen: ihre Zeit, ihre Aufmerksamkeit, ihr Geld, ihre Klugheit und die moralische oder tatsächliche Verfügungsgewalt über ihren Körper. Die sozioökonomische Erklärung von Chemaly ergibt sofort Sinn, wenn man sich zum Beispiel die extreme Schwerfälligkeit ansieht, mit der ein Land wie die BRD die Frage der vorschulischen Kinderbetreuung angeht. Die Antwort darauf kann eigentlich ja nur die sein, die die Frauenbewegung seit über hundert Jahren gibt: Familienverweigerung, Bildung, egalitäre Solidarität unter Frauen und Unterstützung von Männern, die erkennen, dass Macht zwar bequem ist, aber auf Dauer auch dumm und faul macht.
Die Atheistin ist der schlimmste Spuk des Atheisten
Ein recht offensichtlicher Aspekt fehlt bei Chemaly. Atheistinnen sind Atheisten doch mit hoher Wahrscheinlichkeit auch deswegen unangenehm, weil mit dem Glauben an den männlichen Gott allzu leicht der Glaube an den Mann verloren geht. Könnte es sein, dass sich Atheisten auf weibliche Aufmerksamkeit und Bewunderung ähnlich angewiesen fühlen wie der Papst und deswegen vom Abfall vom Glauben auf einen möglichen Abfall vom Glauben an ihre Überlegenheit schließen und mit einem tief verinnerlichten Widerwillen reagieren? Die historischen Äußerungen gegen Atheistinnen, die Katie Engelhart in ihrem Artikel From Hitchens to Dawkins: Where are the women of New Atheism? versammelt hat, lassen jedenfalls kaum Zweifel daran, dass neben dem Theokraten die Atheistin der schlimmste Spuk des Atheisten ist. Zuletzt stellt sich natürlich im Atheismus – wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen – die Frage, was für einen Sinn es machen könnte, dass die Frauen die Macht erobern, die ihnen jetzt noch in vielen Fällen vorenthalten wird. Diese Frage ist belastet, weil sie ganz besonders gerne von Männern gestellt wird, die ihre Macht nicht abgeben wollen, aber es bleibt dennoch richtig, dass Unterdrückung und Ausbeutung auch dann nicht besser werden, wenn sie von Frauen ausgehen.
www.atheisten-info.at
Gleichheit ist, frei nach Brecht, das Einfache, das schwer zu machen ist, aber natürlich ist letztendlich der gleichberechtigte Kampf von Männern und Frauen gegen alle Arten von Ausbeutung und Unterdrückung die einzige rationale Antwort auf den Zustand nach der Verbesserung einer Welt, die Verbesserung so dringend nötig hat. Bis dahin würde es den Männern, aber vor allem den Rationalisten und Atheisten unter ihnen gut zu Gesicht stehen, gegenüber Frauen im allgemeinen und Atheistinnen im besonderen weniger blöd zu sein. {Quelle: www.heise.de – Marcus Hammerschmitt 06.08.2013}
Ich weiß nicht, ob das alles so stimmt. Was ich glaube bzw. nicht glaube, ist doch eine innere Überzeugungssache. Darüber spricht man (in diesem Fall frau) doch nicht unbedingt. Kampfatheisten à la Dawkins sind doch eh nur eine kleine wenn auch laute Gruppe. Meine Mutter war eine stille Atheistin. Das wussten nur wenige. Ich bin entschiedener Christ, mache damit etwas mehr Aufhebens als meine Mutter mit ihrem Nichtglauben. Was ich sagen will: Atheistinnen gibt es meines Erachtens sicher nicht weniger als Atheisten, nur ob sie solches Gewese um ihre innere Überzeugung machen wie die männlichen Pendants wage ich zu bezweifeln.
Darüber hinaus bedauere ich alle lauten und leisen Atheist(inn)en. Diese Welt ist so voller Grausamkeit und Ungerechtigkeit. Wer da nicht eine Hoffnung auf eine ausgleichende Gerechtigkeit in einer ewigen anderen Welt hat, ist arm dran. Diese Hoffnung habe und halte ich – trotz aller Zweifel, denn mein Glaube ist größer als mein zeitweise aufflammender Unglaube. Und genau deshalb verzweifle ich nicht.
Hat dies auf Aussiedlerbetreung und Behinderten – Fragen rebloggt.