So etwas hat es in der CDU noch nie gegeben
Die Muslimin Cemile Giousouf ist 34 Jahre jung. Von der NRW-CDU wurde sie zur Direktkandidatin bei der Bundestagswahl gekürt. Dann wäre sie die erste türkischstämmige Bundestagsabgeordnete der CDU.
Ein Novum.
Ein denkwürdiger Abend in einem Hotel in Hagen. 81 CDU-Delegierte sollten sich Anfang März zwischen zwei Direktkandidaten für die baldige Bundestagswahl entscheiden. Die beiden Bewerber konnten kaum unterschiedlicher sein.
Cemile Giousouf ist Bundestagskandidatin
Die 34-jährige Referentin im NRW-Integrationsministerium, Cemile Giousouf, kam als Überraschungskandidatin von außen. Die gläubige Muslima ist seit 2009 CDU-Parteimitglied und betonte in der Vorstellungsrunde ihren Aufstieg als Zuwandererkind, deren Eltern einer türkischstämmigen Minderheit in Griechenland entstammen. Der 62-jährige Rechtsanwalt Werner Reinhardt hat eine typischere Parteikarriere vorzuweisen. Als Vater von vier Kindern, engagiertes evangelisches Kirchenmitglied und Ratsherr legte er Wert auf seine starke lokale Verbundenheit. Am Ende gab es ein klares Ergebnis: 53 Delegierte votierten für Giousouf und nur 26 für Reinhardt. In Hagen wurde keine rein lokale Personalentscheidung getroffen. Die Wahl Giousoufs zur Direktkandidatin verändert die CDU.
Welt am Sonntag: Sie sind die erste muslimische CDU-Direktkandidatin und haben auch einen recht sicheren Platz auf der Reserveliste der NRW-CDU bekommen. Was sagt das über die Union aus?
Cemile Giousouf: Die Union ist für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte eine politische Heimat. Hier hat die nordrhein-westfälische CDU bundesweit wichtige Impulse gesetzt. In NRW wurde das Deutsch-Türkische Forum der CDU gegründet und 2005 das bundesweit erste Integrationsministerium geschaffen, das Armin Laschet übernommen hat. 2012 ist mit Serap Güler die erste türkischstämmige CDU-Abgeordnete in den Landtag eingezogen. Als größtes Bundesland mit den meisten Zuwanderern haben wir einen besonderen Anspruch unser gesellschaftliches Zusammenleben zu gestalten.
Welt am Sonntag: Hat die CDU Nachholbedarf bei der Einbeziehung von Migranten?
Cemile Giousouf: Ich finde, dass die CDU in den vergangenen Jahren viel nachgeholt hat. Aygül Özkan war in Niedersachsen die erste Ministerin mit Zuwanderungsgeschichte überhaupt – und in unseren Bundesvorstand sind im letzten Jahr vier Parteikollegen mit Zuwanderungsgeschichte eingezogen. So viele haben die anderen Parteien nicht. Aber insgesamt fehlen uns in den Landesparlamenten, im Bundes-, und im Europaparlament die Mandatsträger, die unsere gesellschaftliche Vielfalt auch repräsentieren. Das können wir noch verbessern. Insgesamt macht die CDU unter Angela Merkel eine sehr gute Integrationspolitik. Angefangen bei der Integrationsbeauftragten, im Bundeskanzleramt bis hin zum Integrationsgipfel und dem Nationalen Aktionsplan. In der Familienpolitik kommt der Ausbau der U3-Betreuung auch jungen Familien mit Zuwanderungsgeschichte zugute. Aber wir haben Nachholbedarf bei der Kommunikation unserer Erfolge.
Welt am Sonntag: SPD und vor allem den Grünen gelingt es besser, Migranten anzusprechen. Warum sind Sie nicht im rot-grünen Lager gelandet?
Cemile Giousouf: Ich habe während meines Studiums das Deutsch-Türkische Forum kennengelernt und dort sehr engagierte Christdemokraten getroffen. Ich fand es spannend, dass es diesen Öffnungskurs in der CDU gibt. Das wollte ich begleiten. Mich hat auch die Familienpolitik der CDU überzeugt. SPD und Grüne waren nie wirklich eine Option. Ich habe ohnehin den Eindruck, dass konservative Werte der CDU auch denen der Migranten etwa in der Familienpolitik entsprechen. Ein entscheidender Punkt war für mich auch die Religiosität.
Welt am Sonntag: Eine Muslima fühlt sich in einer Partei wohl, die das Christentum bereits in ihrem Namen hervorhebt. Ist das kein Widerspruch?
Cemile Giousouf: Die CDU gibt Religion und religiösem Gefühl ihren Platz. Das ist mir wichtig. Sie ist die Partei, die eine wertgebundene Politik vertritt, die sich vom christlichen Menschenbild ableitet. Religion ist für die CDU keine Randerscheinung. Es gibt mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen Christen und Muslimen. Wir fühlen uns beide dem Menschen und dem Schöpfer gegenüber für unsere Taten verantwortlich. Deshalb war es auch für mich keine Frage, dass mein politisches Engagement nur in dieser Partei richtig ist.
Welt am Sonntag: Der Islam weckt rasch Vorbehalte. Bekommen Sie das zu spüren?
Cemile Giousouf: Studien zeigen, dass sich die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime zum Grundgesetz und zur Demokratie bekennen, häufig sind sie sogar „Deutscher als die Deutschen“ Ich kann Vorbehalte verstehen, die aus der Angst vor islamistischem Terrorismus bestehen. Hier muss man aber ganz klar unterscheiden. Davor haben auch Muslime selbst Angst. Durch eine verzerrte Diskussion geraten leider oft der Islam und Muslime unter Generalverdacht. Als Muslima werde ich oft gefragt, was ich von der Scharia oder der Christenverfolgung in anderen Ländern halte. Extremistische Auswirkungen von Religionen sind immer hoch problematisch und zu ächten, egal wo sie stattfinden.
Welt am Sonntag: Sehen Sie bei SPD und Grünen Defizite in der Integrationspolitik?
Cemile Giousouf: Gerade grüne Politik hat über Jahre aus falsch verstandener Toleranz ein Nebeneinander ermöglicht. Es war aber kein Miteinander, und es wurde nicht berücksichtigt, was Migranten wirklich brauchen. Das war ein Kardinalfehler. Ich glaube, dass diese Haltung, nicht dazu geführt hat, dass sich Migranten mit ihrem neuen Heimatland identifizieren und stärker in die Gesellschaft einbringen. Unter Angela Merkel hat die CDU die richtigen Weichen gestellt. Die Deutschkurse für Neuzuwanderer werden zum Beispiel sehr gut angenommen. Meine Eltern haben jahrelang darunter gelitten, die deutsche Sprache nicht ausreichend zu verstehen und immer auf ihre Kinder angewiesen zu sein.
Welt am Sonntag: Sie sind in Leverkusen geboren. Haben Sie sich eher als Deutsche gefühlt oder eher als Migrantin aufgrund Ihrer Herkunft?
Cemile Giousouf: Ich fühle mich als Deutsche und habe noch etwas zusätzlich im Gepäck. Einige meiner Freunde wundern sich, dass die Medien mich als christdemokratische Muslima beschreiben und hervorheben, weil es ihnen sonst gar nicht auffällt. Es ist mir wichtig, für die politische Arbeit, dies herauszuheben – aber ich bin nur ein Beispiel der vielen Aufstiegsgeschichten in diesem Land. In 15 Jahren spricht vielleicht keiner mehr davon.
Welt am Sonntag: Hatten Sie das Gefühl, dass Sie sich als Zuwandererkind besonders beweisen müssen?
Cemile Giousouf: Ich war immer besonders betroffen, wenn die Note in der Schule nicht gestimmt hat. Bei uns in der Familie ging es vor allem darum, die Existenz zu sichern. Meine Eltern haben hart dafür gearbeitet, damit es uns mal besser geht. Mein Vater, selbst Fabrikarbeiter, hat immer zu mir gesagt: Du sollst nicht im Staub arbeiten. Du sollst es mal besser haben. Dafür haben unsere Eltern auf Vieles verzichtet. Eine gute Ausbildung der Kinder war für sie das Wichtigste.
Welt am Sonntag: Wurden Sie auch benachteiligt?
Cemile Giousouf: Ich habe mich persönlich nie wirklich diskriminiert gefühlt, aber es gab Momente, in denen ich mich als Kind ohnmächtig fühlte, wenn meine Eltern Benachteiligungen erfahren haben, wenn sie aufgrund ihrer Sprachprobleme schlecht behandelt wurden und sich nicht ausreichend wehren konnten. Eher lustig fand ich es, dass ich in der Grundschule den wichtigsten Vorlesewettbewerb der Stadt gewonnen hatte, aber weiter die Förderklasse besuchen musste, wo das Lesen geübt wurde. Große Sorgen vor Benachteiligungen hatte ich nach den Terroranschlägen am 11. September 2001. Da haben wir als Studenten der Islamwissenschaften versucht, in Veranstaltungen aufzuklären.
Welt am Sonntag: Sie wollten zeigen, dass Ihr Glaube nicht gefährlich ist?
Cemile Giousouf: Das war allen Studenten der Islamwissenschaften, auch den deutschen, ein großes Bedürfnis. Das Bild über Muslime hat sich damals enorm verschlechtert. Es gab einen sehr eurozentristischen Blick der Medien. Selbst im engsten Freundeskreis stießen wir auf Vorbehalte.
Welt am Sonntag: Bekamen Sie Zweifel, dass Integration in Deutschland möglich ist?
Cemile Giousouf: Nein, daran habe ich nicht gezweifelt. Die Mehrheit der Zuwanderer hat es geschafft, Ihr Leben trotzt nicht immer einfacher Lebensbedingungen zu meistern. Das ist auch im Vergleich zu anderen Ländern ein enormer Erfolg. Aber es gibt traumatische Ereignisse in der deutschen Migrationsgeschichte. Das waren die Brandanschläge von Rostock-Lichtenhagen, Mölln, und Solingen und eben die Folgen des 11. September. Ich glaube, das Schlimmste aber war die NSU-Mordserie in unserem Land. Dass es möglich war, dass eine Gruppe von Rechtsterroristen mordend durch die Lande zieht, hat das Vertrauen der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in die deutsche Politik und die Sicherheitsbehörden schwer erschüttert. Wir werden hart daran arbeiten müssen, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. {Quelle: www.welt.de – Von Kristian Frigelj}