Handgranaten in die volle Sakristei
Der Anschlag von Bagdad galt dem wichtigsten Gotteshaus der syrisch-katholischen Kirche – bis Sonntag war es eines der beliebtesten der schwindenden christlichen Gemeinden. Nach der Ermordung von 52 Gemeindemitgliedern wird ein Exodus erwartet.
Die Angreifer hatten sich den Ort und den Zeitpunkt gut ausgesucht. Bis zum Sonntag war die syrisch-katholische Bischofskirche eines der beliebtesten Gotteshäuser der schwindenden christlichen Gemeinden Bagdads gewesen. Als sie um fünf Uhr nachmittags kamen, waren alle Büros des Viertels geschlossen und der Nachmittagsgottesdienst hatte gerade begonnen. Über der Kirche kündet ein in einen Kreis eingefasstes Kreuz weithin sichtbar vom Gotteshaus. Wie jeden Sonntag um diese Zeit hatten sich mehr als hundert Gläubige eingefunden, wenn die jungen Priester Thaer und Wasseem die Liturgie feierten. Pater Wasseem stand am Altar, als alle von draußen Schüsse hörten. Da hatten die Terroristen die Wachen der Bagdader Börse niedergeschossen, die gegenüber dem Kirchenportals hinter Stacheldraht den Eingang in das eher unscheinbare Gebäude sichern sollten. In der Börse befand sich seit zwei Uhr niemand mehr – der Angriff galt ohnehin der Kirche. Das ahnte Abuna („Vater“) Wasseem indes noch nicht, und so bat er – der Gottesdienst hatte eine Viertelstunde zuvor begonnen -, mit dem Gebet fortzufahren.
Sie waren Vorbilder: Dann war eine Explosion zu hören. Die Terroristen hatten das schwere Tor, das auf den Innenhof der Kirche führte, weggebombt und die Sicherheitsleute erschossen. Sie stürmten an der Grotte mit der Jungfrau Maria vorbei, vor der sonst nach Schulschluss die Schüler, die auf dem Kirchegelände die Schule besuchen, jeden Tag kurz innehalten und dann nach draußen in den freien Nachmittag rennen. Die Explosion war noch nicht verhallt, da suchten mehr als 50 der Gottesdienstbesucher Schutz in der Sakristei und verrammelten die Tür mit einem Schrank. Die mutmaßlich sieben Terroristen stürmten die Kirche und der schmächtige Vater Wasseem stellte sich ihnen. Er bat sie, niemanden zu töten, sie sollten sich seiner annehmen. Sie ließen ihn sich auf den Boden setzen, dann erschoss ihn einer mit einer Pistole. Zu der Zeit hatte die andere Hälfte der Gottesdienstbesucher in der großen Kathedrale so gut es ging Deckung gesucht. Vater Thaer, wenig älter als Wasseem und von eindrucksvoller Gestalt, stand weiter am Altar. Nun töteten sie ihn. Beide, Wasseem und Thaer, standen in der Gemeinde als mutig und unerschrocken in hohem Ansehen. Sie waren Vorbilder. Vater Thaer hatte am Heiligen Abend vergangenen Jahres der F.A.Z. noch gesagt: „Als Christen in der Nachfolge Christi haben wir immer Hoffnung, und diese Hoffnung geben wir unseren Kindern weiter. Hätten wir keine Hoffnung mehr, wie sollten sie die Kinder haben?“
Forderung nach der Freilassung aller Al-Qaida-Mitglieder: Einer der Terroristen telefonierte nun mit dem Fernsehsender „Baghdadiya TV“. In klassischem Hocharabisch, mit dem er offenbar verbergen wollte, dass er kein Iraker ist, forderte er die Freilassung von allen gefangenen Mitgliedern des Terrornetzes Al Qaida im Irak und in Ägypten. Noch am selben Abend bezichtigte sich der „Islamische Staat Irak“, der zu Al Qaida gehört, des Blutbads in der Kirche. Eine zornige Gruppe von Mudschahedin habe eine dreckige Höhle der Götzenanbeter gestürmt, die von irakischen Christen als Stützpunkt ihres Kampfes gegen den Islam genutzt werde, hieß es auf einer islamistischen Website. Dort war auch die Rede davon, zwei angeblich muslimische Frauen würden in koptischen Klöstern gefangengehalten. Die beide seien Frauen koptischer Geistlicher, seien aber zum Islam konvertiert, behaupten die Dschihadisten. Auf einer anderen Website wurden ihre Namen mit Camelia Shehata und Wafa Constantine angegeben. Die Terroristen hatten die Gottesdienstbesucher unter Kontrolle, als Nachbarn die Bereitschaftspolizei des Stadtteils Karrada alarmierten. Diese rief umgehend die Antiterroreinheiten der irakischen Armee herbei. In der Luft kreiste eine amerikanische Drohne, die Einblicke in das weitläufige Gelände um die Kirche zuließ.
Kirche war schon einmal Ziel eines Anschlags: Bevor die Soldaten die Kirche stürmten, waren die Terroristen auf die bisher unbemerkte Sakristei aufmerksam geworden – eine Frau hatte zu schluchzen und zu weinen begonnen. Einer der Terroristen warf darauf drei Handgranaten in den Raum. Dann stürmten die Antiterroreinheiten die Kirche. Einige Terroristen zündeten nun ihre Sprengstoffgürtel. Als alle sieben Terroristen getötet waren, lagen neben den Wächtern und einigen Soldaten auch viele Gottesdienstbesucher tot auf dem Boden. 52 Menschen waren getötet und mehr als 60 verwundetet worden. Im Nachhinein war es den Zeugen nicht mehr möglich zu rekonstruieren, wie viele durch eine kaltblütige Hinrichtung getötet wurden, wie viele durch Schusswechsel und wie viele durch die von den Selbstmordattentätern ausgelösten Detonationen.
Das Ende des Christentums im Irak: Die Kirche war schon einmal Ziel eines Anschlags – 2004, zu Beginn des irakischen Bürgerkriegs. Während des Bürgerkriegs aber gingen vor allem Sunniten und Schiiten gegeneinander vor. Die Angriffe auf die Christen und ihre Kirchen begannen erst wieder nach dem Ende des Bürgerkriegs. Anschläge wie dieser läuten nun das Ende des Christentums im Irak ein. Der Bischof der chaldäischen Kirche Schlimon Warduni konnte es nicht fassen: „Nicht einmal Tiere tun so etwas.“ Und Pius Kascha, der Generalvikar der syrisch-katholischen Kirche, deren wichtigster Kirche der Anschlag am Sonntagabend gegolten hatte, sagte ratlos: „Nun ist es klar, dass sie alle von hier gehen werden.“ Sie, die Christen, von denen in den vergangenen zwei Jahrzehnten bereits mehr als 600.000 den Irak verlassen haben. {Quelle: www.faz.net}
Eure Entschuldigung ist abgelehnt
Religiöse Verfolgung: Die tödliche Jagd auf die irakischen Christen
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Schoener Blog, ich komme auf jeden fall regelmaessig