Wer sind die Terroristen von London, Madrid und New York? Was wollen sie?
Woher nehmen sie ihr Geld? Und wie lassen sie sich bezwingen?
Ist al-Qaida eine weltumspannende Terrorgruppe?
Nein. Al-Kaida, das sind viele Organisationen. Ihr Name (»Die Basis«) geht auf ein Verzeichnis von muslimischen Kämpfern zurück, das Osama bin Laden 1988 in Afghanistan anlegte, nach dem Krieg der Mudschahedin gegen die Sowjets. Seit 1984 waren über bin Ladens Rekrutierungsbüros etwa 20 000 Muslime aus aller Welt in die Ausbildungslager am Hindukusch gezogen. Eine Art internationale Brigade des Islams, die kam, die Ungläubigen zu vertreiben. Und in der Tat: Die Mudschahedin schafften es, mit festem Glauben und amerikanischen Stingerraketen, die Weltmacht Sowjetunion in die Knie zu zwingen. Nach diesem Sieg blieb Afghanistan bis 2001 das Gravitationszentrum für Dschihadisten. Mit terroristischem Training versehen, kehrten sie zumeist in ihre Heimatländer zurück. Zwischen 3000 und 5000 Kämpfer, schätzen die UN, traten dortigen Terrorgruppen bei. Bis zum Jahr 2001 erstreckte sich bin Ladens Netzwerk, laut einer Zählung des US-Außenministeriums, über etwa 55 Staaten. In Algerien heißen die islamistischen Kämpfer „Bewaffnete Gruppe für Predigt und Kampf“, in Indonesien „Dschamaat Al-Islamija“, in Tschetschenien „Al-Ansar Mudschahedin“, in Ägypten »al-Gama a al-Islamija«, im Irak „Ansar al-Islam“, in Europa „al-Tawhid“. Unabhängige, so genannte „non-aligned Mudschahedin“ oder „Schläfer“ stehen im Bedarfsfall Gewehr bei Fuß. Die Diaspora von Glaubenskämpfern wird zusammengehalten durch Schützengräbenbrüderschaften, ihre gemeinsame Ideologie oder, im losesten Fall, ein aus ihrer Sicht heiliges Ziel: Die Welt von den Ungläubigen zu befreien. Am besten beschrieben ist Al-Kaida heute als ein terroristisches Franchise-Unternehmen. Im Namen des Dschihad kann jeder kämpfen, der die Ziele der Bewegung teilt. Dabei können die Veteranen den Nachwuchs-Dschihadisten mit Know-how, Kontakten, Waffen und Geld weiterhelfen. Was als Adressenverzeichnis afghanischer Kämpfer begann, ist heute also eine Bewegung von Fanatikern, die mal mehr, mal weniger autonom von der Al-Kaida-Gründerriege operieren.
Steht Al-Qaida nach dem Irak-Krieg stärker da als zuvor?
Vermutlich ja. Das renommierte und regierungsunabhängige Londoner International Institute of Strategic Studies (IISS) jedenfalls bilanzierte kürzlich, der Irak-Krieg habe in Sachen Terrorbekämpfung so segensreich gewirkt „wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen“. Der irakische Präsident Talabani sagt im Juni, es strömten täglich bis zu 70 Dschihadisten oder solche, die es werden wollen, ins Land. Dagegen vermeldet das US-Außenministerium in seinem jährlichen Terrorismusbericht, geballte Polizeimächte auf der ganzen Welt schnürten Al-Kaida die Luft ab: 3400 mutmaßliche Terroristen seien dingfest oder unschädlich gemacht worden, darunter zwei Drittel der Führungsebene. Doch das amorphe Wesen Al-Kaida reagiert auf Schläge wie ein wütendes Tier; jede Verwundung macht es aggressiver. Und an Rekruten fehlt es nicht. Rund 18 000 potenzielle Terroristen seien bereit, den Heiligen Krieg zu führen, schätzt das IISS. Die Reihen würden keineswegs lichter, sondern dichter. Mit der Invasion des Iraks hat die Kriegskoalition Al-Kaida immerhin eine blendende Propagandavorlage geliefert: Christliche Nationen griffen ohne Grund einen arabischen Staat an, der auf Öl sitzt. Im Irak allein fanden sich nach dem Einmarsch der Koalitionsstreitkräfte Dutzende von islamistischen Widerstandshorden zusammen, zu deren Unterstützung mehrere Tausend ausländische Dschihadisten ins Land reisten. Der Irak ist, ähnlich wie einst Afghanistan, zu einer Heimstatt islamistischer Terroristen geworden.
Eine sich täglich verschlimmernde Stimmungslage in der arabischen Welt registriert der deutsche Bundesnachrichtendienst. Die „Kern-Al-Kaida“, so formulieren es deutsche Agenten, sei zwar geschwächt, dafür fänden aber regionale Terrorgruppen immer mehr Zulauf. Wie viele es davon gibt? Das wollen nicht einmal Geheimdienstler schätzen. Der BND geht jedenfalls davon aus, dass die Bedrohung mittlerweile so flächendeckend geworden ist, wie es die Ursprungs-Al-Qaida nie fertig gebracht hätte. Es ist eine weit verzweigte Terrorfamilie entstanden mit gestärktem Kampfgeist und hoher Geburtenrate. Amerikanische Nachrichtendienste gehen von 6 bis 7 Millionen radikalen Muslimen aus, die mit Al-Kaida sympathisieren. 120 000 seien willens, Gewalt anzuwenden. Diese Zahlen berücksichtigen noch nicht, was die Folterbilder aus Abu Ghraib in der islamischen Welt angerichtet haben. Der ehemalige Terrorismusberater im Weißen Haus, Richard Clarke, wirft der Bush-Regierung vor, nach dem Afghanistan-Krieg die Chance vertan zu haben, Al-Kaida endgültig das Rückgrat zu brechen. Stattdessen sei mit dem Irak-Krieg der Feind gestärkt worden.
Ist das Ziel von al-Qaida wirklich ein weltweiter Gottesstaat?
Letztendlich ja. Erklärtes Ziel von Al-Qaida ist die „Vereinigung aller Muslime und die Errichtung einer Regierung, die der Herrschaft des Kalifen folgt“. Das soll allerdings weder heute noch morgen passieren, sondern ist eine Perspektive für Jahrhunderte. Der erste Schritt indes ist die Beseitigung der Vorherrschaft der Ungläubigen. Am 22. Februar 1998 verabschiedeten bin Laden und seine Gefolgsleute im Namen einer „Islamischen Weltfront für den heiligen Krieg gegen Juden und Kreuzfahrer“ eine förmliche Kriegserklärung, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt: „Der Befehl, die Amerikaner und ihre Verbündeten zu töten, ist eine individuelle Verpflichtung für jeden Muslim, der dazu fähig ist, in jedem Land, in dem so etwas möglich ist, um die Al-Aqsa-Moschee [in Jerusalem] und die Heiligtümer [in Mekka] zu befreien und um ihre Armeen dazu zu zwingen, jeglichen muslimischen Boden zu verlassen, geschlagen und unfähig, [weiterhin] Muslime zu bedrohen“. Wenig später präzisierte bin Laden in einem Interview: „Wir unterscheiden nicht zwischen Leuten in Militäruniformen und Zivilisten“. Diese „Fatwa“, geboren aus einem pervertierten Verständnis des Islams, ist bis heute Richtschnur für militante Gruppen in aller Welt. Dabei fungieren religiöse Bezüge nur als einfachstes sinnstiftendes Bindemittel. Hinter der Koran-Rhetorik steckt eine antiwestliche, antimodernistische, antisemitische Ideologie. In den Bekennervideos und -schreiben von Al-Kaida ist immer wieder die Rede vom Zurückdrängen westlicher Besatzer, von der Inbesitznahme der Energiereserven und Rohstoffe durch Muslime, von der Bekämpfung Israels und von der sittlichen Überlegenheit der Scharia. Es ist die Mischung aus religiösen Heilsversprechen und Widerstandsrhetorik gegen „koloniale“ Demütigung, die den Al-Qaidaismus so ansteckend und gefährlich macht.
Attackiert Al-Kaida deshalb vor allem Ziele in der westlichen Welt?
Falsch. Al-Kaida attackiert vor allem islamische Länder. Denn noch prinzipienloser als dekadente Demokratien verhalten sich nach ihrer Weltsicht arabische Regime, die vom „wahren Glauben“ abgefallen sind. Seit dem 11. September 2001 hat es mit Madrid und London nur wenige Attentate auf westlichem Boden gegeben dafür etliche in „korrupten Apostatenstaaten“: Saudi-Arabien (Riad, Khobar), Türkei (Istanbul), Tunesien (Dscherba), Marokko (Casablanca). Im Irak ermordeten Terroristen erst vergangene Woche den Botschafter von Ägypten. Sicher macht auch der vergleichsweise hohe Fahndungsdruck Attentatsplanungen in Europa und Amerika schwierig. Grundsätzlich unterscheidet Al-Kaida jedoch nicht zwischen muslimischen und nichtmuslimischen Staaten, sondern nur zwischen „nahen Feinden“ und „fernen Feinden“. In Saudi-Arabien und Jordanien griffen Islamisten in jüngster Zeit gezielt Vertreter der Sicherheitskräfte an, die nach ihnen fahndeten. Eine geplante Attacke auf Regierungsgebäude im jordanischen Amman Anfang April 2004 hätte leicht im schlimmsten Terroranschlag aller Zeiten enden können. Islamisten hatten mindestens sechs Lastwagen mit 20 Tonnen Sprengstoff und Nervengasbehältern voll gestopft. Wären sie explodiert, es wäre leicht der 11. September des Nahen Osten geworden.
Kann man den Terroristen nicht den Geldhahn zudrehen?
Kaum. Die Welt ist voll von Al-Qaida-Sponsoren. Unmittelbar nach dem 11. September 2001 veröffentlichte die US-Regierung die Namen von 2500 Firmen und Einzelpersonen, die verdächtigt werden, Terroristen zu finanzieren. Darunter finden sich mehrere sudanesische Banken, palästinensische, ägyptische und jemenitische Wohlfahrtsorganisation. Bisher sind etwa 200 Millionen Dollar eingefroren worden. Eine Winzigkeit, verglichen mit den immensen Summen, die saudische Stiftungen ausgeben, um so die offizielle Version den puritanischen Wahabismus in alle Welt zu verbreiten. Jährlich etwa eine Milliarde Rial (etwa 330 Millionen Euro) sammeln saudische Wohlfahrts- und Hilfsvereine jedes Jahr nach einem Bericht der NZZ. Die Petrodollar fließen als „Aufbauhilfe“ an Moscheen und Koranschulen in Pakistan, Tschetschenien, Afghanistan, Afrika, Indonesien oder Bosnien. Allein die saudische Stiftung Al-Haramain verteilt nach Auskunft der saudischen Regierung jedes Jahr knapp 100 Millionen Dollar an Missionsprojekte in Übersee. 1110 Moscheen, Schulen und islamische Kulturzentren hat sie nach eigenen Angaben davon eingerichtet, 3000 Muezzins eingestellt und 13 Millionen islamische Bücher gedruckt. Die US-Regierung beschuldigt Al-Haramain, Terroristen zu finanzieren.
Bis vor kurzem nahmen Washington und das saudische Königshaus dieses großzügige Spendenwesen gleichwohl stillschweigend hin. Ja, die US-Regierung verschleiert es sogar. So erschien der US-Kongressbericht zum 11. September 2001 mit zahlreichen geschwärzten Abschnitten; ebenjenen, in denen Riads Unterstützung des internationalen Terrorismus thematisiert wird. Erst nach den Terroranschlägen in der saudischen Hauptstadt und dem Ölhafen Khobar starteten die USA und die Prinzenfamilie eine gemeinsame Initiative; in Zukunft soll eine Kommission kontrollieren, in welche Kanäle die Stiftung ihre Geldfluten leitet. Das private Vermögen des Ex-Saudis bin Laden wird auf etwa 300 Millionen Dollar geschätzt. Zusätzlich soll Al-Kaida jährlich etwa 30 Millionen Dollar einnehmen. Eine reiche Kriegskasse. Die Vorbereitung und Ausführung des 11. September kostete laut dem Kongressbericht des 9/11-Untersuchungsausschusses zwischen 400 000 und 500 000 Dollar.
Wird al-Qaida Deutschland verschonen?
Wahrscheinlich nein. Aber warum denn nicht?, könnte man einwenden. Hat sich Deutschland nicht ein wenig Rücksicht verdient? Immerhin ist es nicht an der Seite Amerikas in den Irak-Krieg gezogen. Immerhin laufen mutmaßliche Gewalttäter noch immer frei in deutschen Städten herum. Islamisten, könnte man meinen, müssten da doch geradezu dankbar sein. Das ist ganz falsch. Deutsche Soldaten zogen mit den USA in den Krieg; sie sind noch immer in Afghanistan stationiert. Deutsche Marineboote patrouillieren noch immer im „Enduring Freedom“-Verband am Horn von Afrika. Während des Irak-Kriegs bewachten deutsche Polizisten Einrichtungen der US-Armee. Die deutsche Regierung gewährte der Air Force Überflugrechte. Zudem gilt die Bundesrepublik als enger Freund Israels. Und was die Strafverfolgung von Islamisten betrifft: Deutsche Staatsanwälte haben mit Hilfe der Antiterrorpakte hart zugeschlagen. 171 Verfahren laufen derzeit gegen die Szene. Zudem arbeiten die deutschen Sicherheitsbehörden eng mit CIA und FBI zusammen. Das Innenministerium hat mehrere islamistische Gruppen verboten. All das macht Deutschland aus Sicht von Al-Kaida zum Komplizen des „großen Satans“. O-Ton von Osama bin Laden im November 2002 im Fernsehsender Al-Dschasira: „Was bezwecken eure Regierungen damit, sich mit der Verbrecherbande im Weißen Haus gegen die Muslime zu verbünden?“, fragte der Al-Qaida-Chef aus dem Off. „Ich nenne im Besonderen Großbritannien, Frankreich, Italien, Kanada, Deutschland und Australien“. Schon am 8. Oktober desselben Jahres hatte bin Ladens Stellvertreter, Aiman Al-Sawahiri, eine deutliche Drohung ausgestoßen. Anspielend auf den Brandanschlag im tunesischen Djerba im April, bei dem 14 deutsche Touristen ums Leben gekommen waren, sagte er: „Sollte die Dosis nicht ausreichend gewesen sein, sind wir bereit, sie zu erhöhen“.
Werden die Terroristen zu ABC-Waffen greifen?
Wahrscheinlich ja. Die Frage müsste eigentlich eher lauten, warum sie es bisher nicht getan haben. Zwar weisen Experten für Bio- und Chemiewaffen darauf hin, bisher aufgedeckte Versuche von Terrorgruppen, Viren oder Giftgas herzustellen, seien armselig gewesen der Einsatz sei zudem kompliziert und wenig erfolgversprechend. Das mag sein. Doch wer sich an den Sarin-Anschlag der Aum-Shinrikyo-Sekte 1995 auf die Tokyoter U-Bahn erinnert, wird auch noch wissen, welche Massenpanik die Terroristen damit auslösten. Terroristische B- und C-Angriffe mögen relativ geringe körperliche Schäden anrichten doch ihre psychologische Wirkung ist verheerend. Das derzeit am ernsthaftesten diskutierte Szenario ist der Einsatz einer so genannten schmutzigen Bombe. Dabei handelt es sich um einen konventionellen Sprengsatz, der mit radioaktiven Substanzen, etwa Caesium oder Strontium, versetzt ist. Die unmittelbare Explosion wäre (nur) so schlimm wie die einer herkömmlichen Bombe. Doch die freigesetzten Isotope könnten ein ganzes Stadtzentrum radiologisch verseuchen. Caesiumchlorid wurde unter anderem auf sowjetischen Kolchosen eingesetzt, um Saatgut zu bestrahlen. Nach der Wende 1989 verschwand eine unbekannte Anzahl der dafür eingesetzten Geräte. Die internationale Atomenergiebehörde (IAEO) sucht noch immer nach ihnen. Die Wiener Behörde schließt die Möglichkeit nicht aus, dass sich Terroristen auch anderswo radiologische Substanzen beschafft haben, etwa in Kasachstan, Usbekistan oder Tschetschenien. Weltweit verzeichnete die IAEO allein für das vergangene Jahr 280 Fälle von Nukleardiebstahl.
Was ändert sich, wenn Osama bin Laden gefasst wird?
Nichts. Osama bin Ladens Zeit als Gründer und Manager der ersten Generation von Al-Kaida ist ohnehin längst abgelaufen. Die zweite (Mohammed-Atta-)Generation mag von bin Laden als Geld- und Ideengeber profitiert haben. Mittlerweile aber ist die globale Mission gegen die Ungläubigen ein Selbstläufer. In den Worten des libyschen radikal-islamischen Theoretikers Numan Bin Uthman: „Die Dschihad-Bewegungen in aller Welt brauchen bin Laden nicht mehr. Er hat seine Rolle erfüllt“. Für die jüngste, dritte Generation von Glaubenskämpfern, die sich vor allem aus jungen arbeitslosen Nordafrikanern speist, ist „Scheich Osama“ nur noch eine Inspirationsfigur. Ihnen mag er noch Impulse geben, kontrollieren kann er sie nicht. An die Stelle der alten, vertikal organisierten Al-Kaida ist ein loses, horizontales Netzwerk aus Netzen getreten. Mehr noch, einige Lehrlinge des „Emirs“ sind dabei, eigene Rezepte zu entwerfen. Einer macht sich schon anheischig, die Nachfolge des Terrorchefs anzutreten: der 38 Jahre alte Jordanier Abu Musab Al-Sarkawi. Sarkawi fungiert nach Ansicht der US-Sicherheitskräfte als eine Art Schirmherr der Terrorgruppen im Irak. Er rekrutiere ausländische Dschihadisten ebenso wie ehemalige Mitglieder von Saddam Husseins Baath-Partei. Anders als bin Laden hält er es für legitim, auch Muslime zu töten. Seine Gruppe hat sich unter anderem zu den Anschlägen auf ein schiitisches Opferfest in Kerbela bekannt, bei denen fast 200 Gläubige ums Leben kamen. Mit solchen Massakern will er den Irak in eine Staatsruine ohne Zentralregierung verwandeln – und damit einen idealen Stützpunkt für Terroristen schaffen. Sollte er hier scheitern, schrieb Sarkawi in einem Strategiepapier, »werden wir unsere Sachen packen und unsere Zelte in einem anderen Land aufschlagen müssen, um von dort aus unser Banner hochzuhalten“. Al-Kaida: das sind viele Osamas.
Wie kann der Terrorismus besiegt werden?
Durch – wenn überhaupt – zweierlei: Langfristig muss es gelten, Täter zu verhindern, nicht Taten. Kurzfristig ist nur das Gegenteil möglich; heute schon entschlossene Attentäter sind weder für Verhandlungen noch für Resozialisierung empfänglich. Bevorstehende Anschläge lassen sich daher nur durch eine effizientere Zusammenarbeit der Polizeien und Geheimdienste aller Länder verhindern. Daran hapert es noch immer national wie international. Auf lange Sicht muss es darum gehen, potenziellen Terroristen ihre Motivation zu entziehen. Diese speist sich vor allem aus dreierlei. Erstens, aus dem Gefühl des Gedemütigtseins durch einen technisch und wirtschaftlich überlegenen Westen. Zweitens, aus einer religiös unterstützten Selbststilisierung zum Opfer und einer damit verbundenen moralischen Selbsterhöhung. Drittens aus dem Glauben, dass die ungläubigen Unterdrücker Rache verdient haben. Mit schuld an der Konjunktur des anti-westlichen Verschwörungsglaubens sind die eklatanten Bildungsdefizite in der arabischen Welt. Laut einer Studie der UN sind seit dem 9. Jahrhundert nur 100 000 Bücher ins Arabische übersetzt worden. Das sind knapp so viele, wie in Spanien pro Jahr übersetzt werden. Zudem mangele es insgesamt an Freiheit und guter Regierungsführung. Der Kampf gegen den Terrorismus ist also auch ein Kampf gegen ein dumpfes Weltbild. Aber lässt sich der Al-Qaidaismus eindämmen wie einst der Kommunismus? Für ein solches Containment müsste der Westen in einen ideellen Wettstreit mit einer rückwärtsgewandten, selbstgerechten Islaminterpretation treten. Als „Gegenideologie“ freilich hat er nur Pluralismus und Liberalismus zu bieten. Und das heißt eben: Ungewissheit.
{Quelle: http://www.zeit.de}