Dass es einst im islamischen Raum einen Sklavenaufstand gab ähnlich dem des Spartakus im alten Rom – kaum einer hierzulande weiß es. Der senegalesische Anthropologe Tidiane N’Diaye erzählt davon in seinem Buch „Der verschleierte Völkermord“. Dieses erschien vor einiger Zeit in Frankreich, liegt jetzt auf Deutsch vor und macht Furore: Erstmals wird die Geschichte des muslimischen Sklavenhandels in Afrika nachgezeichnet, mit allen Weiterungen wie dem besagten Aufstand. Die Revolte der afrikanischen Sklaven im Südirak beginnt 869 nach Christus. Ali ibn Muhammad, eine Messiasfigur, nimmt mit Zehntausenden Zugelaufenen die Metropole Basra ein. Das um Bagdad zentrierte islamische Weltreich der Abbasiden-Dynastie wankt, mehrere seiner Heere werden vernichtet. Erst nach 14 Jahren können die Abbasiden die Revolte niederschlagen.
Schuften wie Tiere: Zandsch-Aufstand heißt das Ereignis. „Zandsch“, so werden die Schwarzafrikaner auf Arabisch genannt. Für heutige Muslime ist der Aufstand mit Hunderttausenden von Toten ein Randvorkommnis. Just auf die Abbasiden-Periode sind sie stolz, in der die islamische Zivilisation einen Höhepunkt erlebt. Bagdad gilt zu jener Zeit als die kultivierteste Stadt der Welt. Doch ein Gutteil des Glanzes verdanken die Abbasiden der Sklaverei, so Forscher N’Diaye. Um bei der Revolte der Zandsch zu bleiben: Die Afrikaner im Südirak schuften wie Tiere, während sie die Salzsümpfe trockenlegen. Die Plantagen, die sie bauen, liefern die Luxusprodukte, die den arabischen Reichtum mitbegründen: Baumwolle, Datteln, Zuckerrohr; Europa giert nach diesem Zucker. Dass das Thema des muslimischen Sklavenhandels lange im Dunkeln blieb, hat auch mit dem Antikolonialismus afrikanischer Intellektueller zu tun: Sie gewichteten die Allianz mit der islamischen Welt wider den Westen höher als die historische Wahrheit. Und auch westliche Fachleute haben das Kapitel des muslimischen Sklavenhandels nicht ausgeleuchtet. Sie waren mit dem Menschenhandel der eigenen Kultur beschäftigt, dem „transatlantischen“. Grob gesagt, dauert dieser ab 1500 dreieinhalb Jahrhunderte. Geschätzte 12 Millionen Afrikaner wurden nach Amerika und in die Karibik gebracht.
360 Nubier pro Jahr: Der muslimische Sklavenhandel hingegen dauerte fast viermal so lang. Rund 17 Millionen Afrikaner wurden, rechnet N’Diaye aufgrund einzelner Forschungsarbeiten vor, in islamisches Gebiet verschleppt. Und: Die Muslime richteten in Afrika jene Handelswege ein, von denen später die Weissen profitierten. Der Sklavenhandel laut N’Diaye: „eine Erfindung der arabomuslimischen Welt“. Der muslimische Sklavenhandel in Afrika setzt mit der Ausbreitung des Islam ein, dessen Prophet Mohammed 632 stirbt. Die Heere des neuen Glaubens erobern in Windeseile ganze Länder. Einer der frühen muslimischen Generäle zwingt 652 den besiegten Nubiern im Sudan einen Vertrag mit folgender Klausel auf: „Ihr liefert jedes Jahr 360 Sklaven beiderlei Geschlechts, die unter den besten eures Landes ausgewählt und an den Imam der Muslime überstellt werden. Alle müssen makellos sein. Es werden weder gebrechliche Greise noch alte Frauen und keineswegs Kinder angenommen, die das Pubertätsalter noch nicht erreicht haben“.
Der Afrikaner als Halbmensch: In den nächsten Jahrhunderten geraten riesige Landstriche Afrikas unter muslimische Herrschaft. Der in Kleinreiche zersplitterte Kontinent ist ungenügend gewappnet gegen die Eindringlinge. Und man kann die Minikönige gegeneinander ausspielen – bald wachsen den Eroberern zudienende afrikanische „Helfergebilde“. Über zwei Hauptrouten führen sich die Muslime billige Arbeitskräfte zu: Die „transsaharische“ Route führt durch die Sahara ins arabische Nordafrika. Die „orientalische“ führt via Rotes Meer in den Nahen und Mittleren Osten. Die Grundregel über allem lautet: Muslime dürfen keine Muslime, wohl aber Andersgläubige versklaven. Eine rassistische Einstellung wächst heran, die den Afrikaner zum Vieh abwertet. Der arabische Geograf Ibn Dschubair, 1145 bis 1217, bemerkt über einen Stamm von Schwarzen: „Es sind sittenlose Menschen, und es ist also keine Sünde, sie zu verfluchen und bis in ihre Dörfer zu verfolgen, um sich dort Sklaven zu beschaffen“. Und Ibn Chaldun, 1332 bis 1406, gefeiert als erster Soziologe der Welt, schreibt: „Die einzigen Völker, die die Sklaverei akzeptieren, sind die Neger, aufgrund ihrer niederen menschlichen Natur gleichen sie den Tieren“.
Ausufernde Anklagen gegen die Muslime: Autor N’Diaye wird dafür kritisiert, dass er in sein Buch mündliche afrikanische Quellen einfließen lässt. Auch irritieren seine ausufernden Anklagen gegen die Muslime. Doch grundsätzlich bestritten wird seine Darstellung nicht, wonach die muslimische Welt „seit dem frühen Mittelalter zu einem riesigen Sklavenimporteur geworden“ ist. Christliche Berichterstatter erzählen davon immer wieder. Etwa ein Dominikanerpater an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert: „Jedes Jahr führten die Mauren (Araber; die Red.) am Ufer der Schwarzen Razzien durch. Sie griffen einige Dörfer der Waalo, Cayor oder Jolof überraschend an, setzten sie in Brand und kehrten mit ihrer lebenden Beute zum Umschlagplatz zurück. Man sah Reiter mit Kindern in den Armen oder vorne auf dem Sattel. Ihnen folgte die Mutter, sofern sie nicht im Feuer umgekommen war, an den Schwanz des Pferdes gebunden“. Ist der afrikanische Mensch gefangen, tritt er den Weg in die islamische Welt an. Dass er sie erreicht, ist keineswegs sicher. Ein Engländer schreibt 1875: „Diese erbarmungswürdigen Wesen überqueren 23 Breitengrade zu Fuß, nackt, unter einer brennenden Sonne, mit einer Tasse Wasser und einer Handvoll Mais alle zwölf Stunden“. Die Sterberate auf solchen Märschen ist riesig, zwei andere englische Forschungsreisende berichten, wie sie auf der Strecke zwischen zwei Brunnen in der Wüste auf Kilometern Skelett um Skelett fanden.
Kastrierte Sklaven bevorzugt: Ein drastisches Unterkapitel ist das der Eunuchen. Muslimische Haushalte können keine Kinder zeugen, sie bevorzugen kastrierte Sklaven. Neue Sklaven herbeizuschaffen, ist billiger, als den Nachwuchs der vorhandenen aufzuziehen. Auch an den Herrscherhöfen sind Eunuchen begehrt. Der Abbasiden-Kalif Al-Muktadir besitzt im 10. Jahrhundert 7000 schwarze Eunuchen, sie dienen etwa als Haremswächter. Da der Islam es verbietet, Sklaven zu verstümmeln, delegiert man die Prozedur an Nicht-Muslime. In Ostafrika und am Nil entsteht eine eigentliche Kastrationsindustrie, führend sind im Gewerbe ägyptische Kopten, also Christen. Hoden und Glied werden am Ansatz abgeschnürt, es folgt der Schnitt des Messers, das Blut wird mit Aloepuder und Kompressen gestillt, die Wunde mit Butter beschmiert. Freilich überlebt weniger als ein Viertel der Traktierten. Mit der Ankunft des weißen Mannes verdoppelt sich das afrikanische Leid. Manche Weiße sind selber Menschenhändler, sie profitieren von den eingespielten Handelsverbindungen. Für einige Jahrhunderte muss Afrika nun zwei Zivilisationen als Menschenreservoir herhalten – Wirtschaftshistoriker sind nach wie vor am Rechnen, wie sehr und wie nachhaltig der Sklavenhandel den schwarzen Kontinent geschädigt hat.
Handelszentrale Sansibar: Dann, als die industrielle Revolution Maschinen zur Hauptproduktionskraft befördert, braucht der Westen keine Sklaven mehr. Und die Aufklärung, die von der Gleichheit aller Menschen ausgeht, beginnt zu wirken. Nun entwickelt der Europäer Moral, gibt jenen Christen recht, die schon immer den Sklavenhandel verdammten; 1807 verbietet Großbritannien den Sklavenhandel. Doch mancher europäische Konsul drückt vor Ort weiter ein Auge zu, schließlich braucht er unter den lokalen Mächtigen Verbündete. Berühmt wird in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Sklavenhändler Tippu Tip, ein Vertrauter der Kolonialherren, der von Sansibar aus den Handel im Indischen Ozean kontrolliert. Dieses Sansibar vor der Ostküste Afrikas ist berühmt für die Riesenmengen an Sklaven, die umgeschlagen werden oder daselbst schuften. Zwischen 1830 und 1872 leisten auf der Insel Zehntausende Sklaven Schwerarbeit. Eine französische Historikerin hat die Kollektivarbeit in Anbaukulturen statistisch ausgewertet, ihr zufolge starben jährlich 20 bis 30% der Arbeiter in den Plantagen. Mit anderen Worten: Muslimische Erde ist voller toter Sklaven.
Wir behandelten sie anständig: Um 1910 ist der muslimische Handel mit Sklaven praktisch beendet. Der weiße Kolonialismus hat es durchgesetzt. Heute interessiert sich kaum ein muslimischer Historiker für das Thema. Und wenn Muslime darüber sprechen, dann meist beschönigend im Sinn von: Ja, wir hatten Sklaven, aber wir behandelten sie im Einklang mit dem Islam anständig. Fachmann N’Diayes Fazit: „In der arabomuslimischen Welt fehlt es seit eh und je schlichtweg an einer Tradition der Kritik oder gar der Selbstkritik, insbesondere wenn es um vom Islam nicht widerlegte Praktiken geht“.
Befreite Afrikaner um 1880 auf dem britischen Schiff HMS London, das den Sklavenhandel vor Sansibar bekämpfte – Bild: Bridgemanart
endlich wird dieses dunkle Kapitel behandelt!