Ihr Freund durfte erst nach der Beerdigung an ihr Grab – „Ich hoffe, dass Sweras Vater lebenslänglich bekommt“; sagt Louis.
Friedhof Zürich-Witikon: Die Stimmung ist beklemmend. An beiden Eingängen stehen Polizisten mit Maschinenpistolen. Auf dem Friedhofareal patrouillieren weitere Beamte. In Zivil. Die Polizei überwacht, wer zur Beerdigung von Swera R. kommt. Wozu dieses Grossaufgebot? „Die Polizei wollte nur der Familie einen ungestörten Rahmen garantieren“, sagt Stapo-Sprecherin Judith Hödl. Mit MPs im Anschlag? Gab es etwa Drohungen im Vorfeld? „Nein, gab es nicht. Und die Polizei ist immer bewaffnet“, so Hödl. „Es ist im Übrigen auch nicht das erste Mal, dass wir eine Beerdigung so abgesichert haben“.
Wartet die Polizei auch auf Sweras Freund Louis F. (18)? „Ihre Mutter war gegen mich, weil ich Christ bin“, hat er letzte Woche im BLICK gesagt. Louis taucht nicht auf, fehlt an der Beerdigung seiner Freundin. Der ägyptische Familienberater Hamdy E. hat es ihm verboten. „Er hat mich vor zwei Tagen angerufen. Er sagte, ich dürfe nicht zu Sweras Beerdigung. Als Begründung schwafelte er etwas von Ehre“, sagt Louis. An Sweras Beerdigung nehmen rund 30 muslimische Männer teil. Auch drei Frauen mit schwarzen Schleiern sind da. Und die gesamte Klasse von Swera aus dem Zürcher Schulhaus Riedtli. Jeder Schüler hat eine gelbe Rose mitgebracht. Um 10.30 Uhr ist es soweit. Der weisse Sarg mit Swera wird an den Rand des muslimischen Grabfeldes getragen. Ein großes Blumenbouquet liegt auf dem Sargdeckel, in bunten Farben: rot, gelb, grün, weiß. Männer stellen den Sarg auf zwei Stühle, richten ihn gegen Mekka aus. Ein Verwandter spricht die ersten Worte: „Jeder Mensch muss einmal sterben“. Die Stille wird immer beklemmender. Die Klassenkameraden von Swera stehen im Hintergrund. Sprachlos. Fassungslos. Einige von ihnen brechen fast zusammen. Dann führt ein weißgekleideter Imam die Zeremonie durch. Die Muslime beten.
„Die Mutter von Swera ist nicht gekommen“, sagt eine Frau. Auch zwei ihrer Kinder, Sweras jüngere Schwester (12) und der kleine Bruder (9) fehlen an der Beerdigung. „Nur Rabia ist hier“, sagt die Frau. Die 15-Jährige lebt seit ein paar Monaten in einem Heim. Dann wird Sweras Sarg ins ausgehobene Grab gelegt. Die Männer beten noch einmal. Die Zeremonie ist zu Ende. Nun nehmen Sweras Schulkameraden Abschied. Sie werfen ihre gelben Rosen ins Grab. Als letzten Abschiedsgruss an Swera. Eine Mitschülerin muss dabei von zwei Freundinnen gestützt werden. Nach exakt 37 Minuten ist die muslimische Beerdigung zu Ende.
Die Trauergemeinde löst sich auf. Der Albtraum bleibt: Elf Tage zuvor: Die fröhliche Sekundarschülerin Swera wird von ihrem eigenen Vater getötet. Der strenggläubige Pakistani Scheragha R. (51) rammt seiner ältesten Tochter eine Axt in den Rücken. Weil sich Swera schminkte, kein Kopftuch trug und einen Freund hatte. Dieser nimmt erst am Nachmittag zusammen mit Freunden Abschied von seinem Schatz. Die Teenager stehen fassungslos am frischen Grab. „Für mich ist eine Welt zusammengebrochen“, sagt Louis. „Swera hat diesen Tod nicht verdient. Ich hoffe, der Vater bekommt lebenslänglich“.
Diese Beerdigung war eine Schande
Swera wurde Opfer eines Ehrenmords. Ihre Beerdigung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Ein Fehler, sagt Saïda Keller-Messahli.
Sweras Mutter war nicht an der Beerdigung ihrer Tochter. Warum?
Saïda Keller-Messahli: Es ist eine Unsitte im Islam, dass muslimische Frauen nicht an Beerdigungen teilnehmen dürfen. Die Männer nehmen selbstherrlich für sich in Anspruch, ein Begräbnis allein durchzuführen, ohne Rücksicht auf die Gefühle der Mütter.
Was halten Sie davon?
Ich finde das eine sehr unmenschliche Sitte – sie diskriminiert Frauen. Es ist schrecklich, dass die Mutter ihr Kind nicht mal zum Grab begleiten darf.
Warum durfte Sweras Freund nicht an die Trauerfeier?
Er ist Christ. Das sahen diese konservativen Männer als ein Verbrechen an. Ihm wird die Schuld an der Tragödie gegeben. Deshalb wird er ausgeschlossen.
Verstehen Sie diese Haltung?
Überhaupt nicht. Das kann doch nicht sein: Die Menschen, die Swera am nächsten standen, dürfen nicht an ihre Beerdigung. Es empört mich, dass die Trauerfeier so im Geheimen und mit Polizeischutz abgelaufen ist und alle Betroffenen ausgeschlossen wurden. Sweras Beerdigung war eine Schande.
Was hätte man tun sollen?
Man hätte die Regie nicht konservativen muslimischen Männern überlassen dürfen. Es wäre an der Vormundschaftsbehörde gewesen, die Organisation des Begräbnisses zu übernehmen. Sie hätte sich überlegen müssen, wer alles emotional mit dem Mädchen verbunden war. Das sind die Mutter, die Geschwister, der Freund, die Schulklasse. Aber auch die Öffentlichkeit wurde durch den Fall erschüttert. Deshalb hätte man auch sie zulassen müssen.
Wie hätte die Trauerfeier Ihrer Ansicht nach aussehen sollen?
Ich hätte erwartet, dass jemand von der Stadt Zürich anwesend ist und eine klare Ansprache gehalten hätte. Zum Beispiel die Stadtpräsidentin. Sie hätte damit ein Zeichen setzen, den konservativen Muslimen eine klare Botschaft senden können: Dass Väter nicht über das Leben ihrer Töchter bestimmen können, Kinder nicht ihre Besitztümer sind und sie nicht über Leben oder Tod entscheiden dürfen. Eine solche Stellungnahme abzugeben, hat die Politik verpasst.
Der Fall Swera ist auch ein Behörden-Skandal?
Absolut. Die Vormundschaftsbehörde hätte der Familie eine muslimische Frau als Familienberaterin zur Seite stellen müssen. Bei einem Muslim besteht immer die Gefahr, dass er sich mit dem Vater verbündet und dessen Interessen unterstützt, anstatt dem weiblichen Teil der Familie zu helfen. Einer Frau hätte sich Swera bestimmt auch anvertraut. Es reicht nicht, wenn der Berater nur die Sprache der Familie spricht, es kommt auf seine Haltung zu den muslimischen Frauen an.
Wie könnte man in Zukunft eine solche Tragödie verhindern?
Lehrer und Lehrmeister sollten ein verstärktes Augenmerk auf Jugendliche mit muslimischen Eltern haben, mit ihnen regelmässig Gespräche führen. So können sie herausfinden, ob sie in der Familie unter Druck stehen. Wenn dem so ist, muss sofort gehandelt werden. Swera hat viele Zeichen gesendet, aber niemand hat sie ernst genommen.
Die Zürcherin Saïda Keller-Messahli ist Präsidentin des Forums für einen Fortschrittlichen Islam. Endlich mal eine normale Stimme aus dem muslimischen Lager – Interview: Karin Baltisberger