Necla Kelek warnt vor einer Verharmlosung orthodoxer Muslime
Berlin: Die türkisch-deutsche Soziologin Necla Kelek (52) zählt zu den renommierten Islamkritikerinnen hierzulande. In ihrem jüngsten Buch warnt sie vehement vor einer Verharmlosung des Islam („Himmelsreise. Mein Streit mit den Wächtern des Islam“).
Welche Bedeutung hat der Islam für die Deutschen?
Kelek: Aus der alten Türkenfurcht des christlichen Abendlandes ist in Deutschland früh eine Art Freundschaft entstanden. Wilhelm II. war ausgesprochen islamfreundlich, der den Bau der Bagdadbahn beförderte und der im Ersten Weltkrieg auf die Osmanen als Verbündete gesetzt hat. Mit seiner militärischen Hilfe für die Osmanen ist Deutschland aber auch in den Massenmord an den Armeniern verstrickt.
Ist das für die heutige Beziehung noch von Bedeutung?
Kelek: Viele wissen das gar nicht mehr; auch nicht in der Türkei. Dort wird immer noch davon erzählt, was Atatürk alles alleine geleistet und wie er die Republik ausgerufen hat. Welche Beziehungen er dabei insbesondere zu deutschen Offizieren hatte, erfährt man nicht. Er wird einfach als Held und Prophet dargestellt.
Tun sich die Deutschen bisweilen deshalb so schwer, den Islam auch zu kritisieren?
Kelek: Ich glaube, das hat weniger mit dem Islam zu tun, sondern mehr mit der Haltung einer Gesellschaft, die sich zur Aufgabe gemacht hat, nach den Schulderfahrungen des Zweiten Weltkriegs alles differenzierter zu sehen – also nicht mehr in Systemen zu denken, nicht mehr fremde Kulturen zu diffamieren. Deutschland fühlt sich praktisch für die ganze Welt verantwortlich. Ein Volk, das so viel angerichtet hat, darf sich nach eigenem Verständnis nicht mehr anmaßen, überhaupt irgendeine Kultur noch zu kritisieren. Diese Haltung hat dem Weltfrieden sicherlich gut getan. Nicht aber den Muslimen, weil muslimische Gesellschaften so etwas wie Selbstkritik nicht kennen.
Sie allerdings sparen nicht mit Kritik an Ihrer Herkunftskultur.
Kelek: Ich kenne keine andere Kultur, die die Frauen so sehr diskriminiert. Sie haben nach dem Welt- und Menschenbild – das die Männer als ihre Religion produzieren – keine Rechte. Dass die Frauen sich zu verschleiern haben, ist für mich das Erniedrigendste, was es gibt. Die Frau wird aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen, sie hat unsichtbar zu sein. Das ist mehr als rückständig, das ist Apartheid. Für mich ist das nicht zu akzeptieren.
Die Stellung der Frau im Islam wird vom Koran abgeleitet. Ist das eine Fehlinterpretation?
Kelek: Nein, der Koran ist da eindeutig. Wenn die Frau nicht gehorcht, so heißt es, dann schlagt sie und sperrt sie in die Gemächer.
Ist es darum so problematisch, dass der Islam keine Theologie kennt?
Kelek: Der historisierende Blick fehlt bis heute. Dass der Koran von einem Menschen vermittelt wurde und nicht direkt von Gott kommt, wird selbst heute nicht hinterfragt. Die Texte sind in ihrer rückständigen Form seit Jahrhunderten gelebter Alltag. Wir brauchen die Moscheen aber als sakrale, nicht als politische Räume. Darum mache ich die Islamverbände auch dafür verantwortlich, dass die Integration bis heute nicht geklappt hat. Sie waren es, die schon vor 25 Jahren in den Moscheen einen rückständigen Islam verbreitet haben.
Was erwarten Sie künftig von der Islamkonferenz unter der Leitung von Innenminister Thomas de Maizière?
Kelek: Sehr viel. Ich finde das Konzept von Thomas de Maizière mit entscheidenden Kernthemen sehr gut: wie etwa die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie die Imam-Ausbildung an deutschen Universitäten, damit wir auch säkulare Vorbeter haben.
Große Freude kommt bei den Moslems auf, als sie die Rüge von Necla Kelek gelesen hatten. Ein paar Zitate zur Auswahl. Khaled Al-Fares: Wenn die Frau so weitermacht, kommen ein paar auf dumme Gedanken – Islambruderschaft: diese Frau ist nicht mehr zu retten, möge Allah sie zum Islam oder zum Schweigen bringen.
„…weil muslimische Gesellschaften so etwas wie Selbstkritik nicht kennen.“
Ich glaube, dass ist neben der Anprangerung der Erniedrigung der Frau in der islamischen Gesellschaft der Kernsatz des Problems. Selbstkritik ist etwas, was zum Erkennen von Schuld führen kann. Das jedoch darf nicht sein. Schuld sind nämlich immer nur andere. Ganz anders die Rede Jesu. Man denke an seine Forderung, den „Splitter“ aus seinem eigenen Auge zu ziehen und nicht auf den Balken im Auge des anderen zu schauen.
Das Nichtkennen der Selbstkritik, weil die Worte des Koran unhinterfragbar als das wörtliche Wort Gottes angesehen wird, ist letztlich das große Hindernis auf dem Weg zu einer gesunden Integration.