Was ist gegen Terroristen zu tun? Regierungen, Experten und Medien weltweit suchen derzeit Antworten auf diese Frage, auch im arabischen Raum. Das MEMRI-Forschungsinstitut hat vielsagende Stellungnahmen von reformorientierten Arabern zusammengetragen, die teils ans Mark ihrer Kultur gehen.
Damit islamistische Lehrer und Propagandisten mit ihren Parolen weniger Gehör finden, versuchen arabische Reformer seit langem in ihren Ländern unabhängiges und kritisches Denken und demokratische Gesinnung zu fördern. Bislang meist mit bescheidenem Erfolg, wenn man den Einfluss auf Politik und Medien zum Maßstab nimmt. 4000 reformorientierte Intellektuelle arabischer und kurdischer Sprache baten im Februar die UNO, einen internationalen Gerichtshof für muslimische Hass- und Gewaltprediger einzurichten. Nach den Londoner Anschlägen wird kritisiert, dass die britischen Behörden Extremisten Unterschlupf boten und ihre Aktivitäten zuließen – und dass die gemäßigten Muslime und ihre Vordenker nicht entschlossen gegen islamistischen Druck aufstanden.
Gefährliches Laisser-faire: Der Saudi-Araber Mashari Al-Dhaydi schreibt in einer in London erscheinenden Zeitung, die Feinde der Freiheit hätten das Laisser-faire in Europa genutzt, „um die Fundamente der Freiheit zu zerstören und jede Möglichkeit abzuwürgen, dass Freiheit in arabischen und islamischen Ländern als Idee geboren und dann auch verwirklicht wird“. Ein prominenter Journalist klagt, während die britischen Behörden zusahen, hätten die Extremisten unter den Muslimen des Landes die Gemäßigten an die Wand zu drücken begonnen. Wenn er und andere früher die Behörden aufgefordert hätten, die Extremisten zu stoppen, so genüge dies jetzt nicht mehr; sie müssten jetzt alles tun, um die Feinde der Freiheit aus dem Land zu schaffen: „Expel them“!
Extremismus blüht im Internet: Das unzensurierte Internet werde von den Extremisten als Medium bevorzugt, schreibt ein anderer Kommentator. Es sei billig, und Nachrichten und Erklärungen seien rasch weltweit verbreitet. Das World Wide Web müsse heute als das wichtigste Mittel gelten, um das Denken junger Muslime zu vergiften. Im Internet fänden Interessierte nicht nur Information, sondern sie würden auch indoktriniert und für den Dschihad rekrutiert. Der Kommentator fordert die Zensurierung solcher auf Hass und Gewalt zielenden Webseiten.
Schuld anderen zugeschoben: Angesichts der Terror-Plage, die nun auch Hunderte von ägyptischen Familien trifft, fahren arabische Reformer auch den Meinungsmachern ihrer Länder an den Karren. Die Schuld auf Präsident Bush, Tony Blair und den Irakkrieg abzuwälzen sei unsinnig, schreibt ein Ägypter. Diese Argumentation laufe auf das Rechtfertigen von Terror-Anschlägen hinaus. „Wenn man diesen Leuten auf arabischen TV-Kanälen zuhörte, hätte man meinen können, George Bush und Tony Blair wären selbst nach Leeds gegangen, hätten die jungen Leute nach London gebracht und auf den Knopf gedrückt. Die so genannten Intellektuellen zeigten sich erfreut, dass Bush und Blair am 7. Juli eine unvergessliche Lektion verpasst bekamen. Natürlich wurde alles auf Arabisch gesagt. Die so genannten Intellektuellen glauben, dass die arabische Welt dies hören will“.
Doppelzüngig: Dieselben Kommentatoren brächten aber Tage später in US-Medien völlig andere Gesichtspunkte zu Gehör, kritisiert der Ägypter: „Es ist höchste Zeit, eine Sprache zu sprechen, nicht zwei – eine davon zum Westen hin… Sprechen wir doch mit einer Stimme, die Verantwortung übernimmt, und überlegen wir miteinander, wie wir aus diesem fürchterlichen Chaos, das uns alle treffen wird, herausfinden“.
Satelliten-TV: Hass ist billiger: Ein ägyptischer Gelehrter weist darauf hin, dass Produzenten der Satelliten-TV-Kanäle wohlfeiles Material von Extremisten annahmen, statt selbst – mit höheren Kosten – Ausgewogenes zu produzieren. Eine anständige Gesangsshow koste wohl das Zwanzigfache einer Hasspredigt. Jeden Tag stellten sich mehr Araber hinter die Ziele der Terroristen. Flüche gegen die Amerikaner seien für einige ältere ägyptische Journalisten und Politiker wie „politisches Viagra“.
9/11 nicht unzweideutig verdammt: Die Journalisten, die seit dem 11. September 2001 Terrorismus konsequent und unzweideutig verdammt hätten, ließen sich an einer Hand abzählen, meint der Kommentator. „Warum hat kein einziger von denen, die mit dem Westen große Geschäfte machen, in eine arabische Zeitung ein Inserat gesetzt, das den Terror verurteilt“? Vielmehr erlaubten sie den TV-Stationen, die sie besäßen, Hass zu verbreiten.
Stärker durch Vergeltung? Der frühere Herausgeber der saudischen Zeitung Al-Watan unterstreicht, die führenden Islam-Gelehrten seines Landes hätten Selbstmordattentate schon vor 2001 verurteilt. Doch „wir haben die klare Weisung des Propheten nicht beachtet, dass die Muslime nur Kämpfer töten, nicht aber Frauen und Kinder“. Die arabische Welt habe dies in den 90-er Jahren vergessen, weil Selbstmordanschläge in Israel tatsächlich „den Horror auslösten, den sie uns angetan haben“ – Terror gegen Zivilpersonen schien sich als wirksame Vergeltung zu erweisen, trieb Israel in die Defensive. „Die Wut hat uns blind gemacht“. Die Araber hätten sich der Illusion hingegeben, so könne der jüdische Staat in die Knie gezwungen werden.
Islamische Tradition gegen Selbstmordattentat: Der Publizist erinnert an die neulich bestätigte islamische Tradition, wonach Selbsttötung die Höllenstrafe nach sich zieht. Die grauenerregende Tötung von Dutzenden Kindern in Bagdad – wie auch der Tod der ägyptischen Hotelarbeiter letzte Woche – dürfte mehr Arabern bewusst machen, welchen Sturm sie mit dem Anfachen des ‚Heiligen Kriegs’ heraufbeschwören. Die Hamas-Bewegung, der der Saudi-Araber gute Ziele unterstellt, habe mit dem Ja zu Selbstmordanschlägen einen „großen moralischen Fehler“ begangen. Reform-orientierte Muslime klagen über den Imageschaden, den die Terroristen der islamischen Weltgemeinschaft und der Religion selbst verursachten. „Warum schaffen wir es nicht, alle Quellen der Terroristen auszutrocknen und jene zur Rechenschaft zu ziehen, die sie ermutigen, ihnen folgen oder ihre Taten zu rechtfertigen suchen“?
„Religiöse Ideologie“: Die Gewaltwelle im Irak treibt den irakischen Forscher Majed Al-Gharbawi zu betonen, dass Terrorismus sich nicht zuerst aus sozialen Missständen erklärt, sondern aus einer religiösen Ideologie speist. Die Islamisten meinten, sich mit ihren Untaten ins Paradies hieven zu können. „Der Einzelne in den islamistischen Bewegungen versteht sich nicht als Geschöpf, das auf seinem Stück Boden leben soll, sondern als Geschöpf für die zukünftige Welt; er sehnt sich täglich danach, dass Allah ihm den Tod im Kampf schenkt, so dass er aller Last der Verantwortung ledig ist und das Paradies und die Gunst Allahs gewinnt“.
Aufruf zum Töten im Koran tilgen? Wenn respektierte Gelehrte sich in Fatwas (Gutachten) gegen die Gewalt aussprächen, würden sie verachtet. Darum genüge dies nicht. Die Weisungen des Koran und der Scharia müssten neu überprüft und Aufrufe zum Töten (Sure 9,5 des Koran) eventuell daraus getilgt werden. Die ersten Führer der Muslime solle man nicht weiter in den Himmel heben. Jene, die die islamischen Texte für ihre eigenen verbrecherischen Zwecke missbrauchten, seien der Schande preiszugeben, fordert der Iraker.
Quelle: Livenet / MEMRI
Autor: Peter Schmid